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Zehn Jahre buntes Treiben: Junges Theater in
Iaşi

Vom 5. bis 10. Oktober verwandelte sich das rumänische Iaşi in eine
Hochburg theatralen Geschehens, das nicht nur auf kleinen und großen Bühnen der
Stadt
im äußersten Osten des Landes, sondern gleichermaßen in Einkaufszentren wie
auch auf Straßen und Plätzen stattfand. Vielfältig und abwechslungsreich präsentierte
sich das unter dem Motto "Horizonte“ zusammengestellte Programm des
Internationalen Theaterfestivals für ein junges Publikum (FITPT).

Von Irina Wolf
(23. 11. 2017)

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   Gespannt verfolgten Schülerinnen und Schüler bei den Vormittagsvorstellungen im fast 500 Besucher fassenden Saal des Kinder- und Jugendtheaters "Luceafãrul" die liebevolle Geschichte Umarmungen des italienischen Teatro Telaio oder das clowneske Bewegungstheater Pinguin People des Asou-Theaters aus Graz. Nur mit Mühe konnten die jungen Besucher davon abgehalten werden, nach den Aufführungen nicht die Bühne zu stürmen, um die sich umarmenden Pandas oder die Pinguinkolonie, die gegen die globale Erwärmung kämpfte, zu berühren. Nachmittags kamen Passanten im benachbarten Einkaufszentrum aus dem Staunen nicht heraus, denn da wurde spektakuläre Zirkus-Akrobatik aus Neuseeland, Afrika oder Kanada gezeigt.

Von einem 17-jährigen Roma-Mädchen, das in der Scheune ihrer Eltern erhängt aufgefunden wurde, erzählte abends im Kleinen Saal die Bukarester Roma-Frauengruppe Giuvlipen in Wer hat Szomna Grancsa getötet? Auch die freie Szene war unter anderem mit der Multimedia-Show Zwischen zwei Tabletten im Programm vertreten – eine Aufarbeitung selbsterlebter Depression der Produzentin Cinty Ionescu. Für Begeisterung sorgte Wolfgang, die jüngste Produktion des Jugendtheaters von Piatra Neamţ, die auf eindrucksvolle Weise Einsamkeit und fehlende Kommunikation untersuchte. Der bekannte Regisseur Radu Afrim, der auch für die musikalische Untermalung verantwortlich zeichnete, lieferte poetisch und spannend zugleich eine Adaption des Stückes von Yannis Mavritsakis, das sich mit der Geschichte von Natascha Kampusch beschäftigt.

   Oltiţa Cîntec, Theaterkritikerin, Intendantin von FITPT und künstlerische Leiterin des Kinder- und Jugendtheaters "Luceafãrul", spricht im folgenden Interview von weiteren Höhepunkten des Theaterfestivals, der Position des Theaterkritikers in der rumänischen Szene und davon, wie es um das Theaterbuch steht.


Irina Wolf
: Das internationale Theaterfestival für junges Publikum feierte dieses Jahr sein 10-jähriges Jubiläum. Warum haben Sie sich für das Thema "Horizonte" entschieden?

Oltiţa Cîntec: Das diesjährige Konzept beabsichtigte, die Offenheit von FITPT, den interkulturellen Dialog zu fördern und ein möglichst breites Publikum zu erreichen, hervorzuheben. Ich habe mich vor allem auf geografische Horizonte konzentriert, sodass wir Gäste aus sechs Kontinenten und 29 Ländern in Iaşi hatten. Aber Quantität war nicht mein einziges Ziel. Ich widmete mich gleichfalls der Ästhetik. Somit umfasste das Programm die unterschiedlichsten Darbietungsformen der darstellenden Kunst: Schauspiel-, Tanz- und Puppentheater, Musical, Zirkus, Theater der Roma, Performances sowie Lesungen, Buchpräsentationen, Ausstellungen, Workshops und vieles mehr. Als Intendantin beachte ich auch unsere inneren Wünsche, was wir auf der Bühne oder in unkonventionellen Spielstätten sehen möchten. Im Allgemeinen versuche ich mich bei der Programmgestaltung in die Lage des Zuschauers zu versetzen und mir vorzustellen, womit ich ihn überraschen könnte, sodass emotionale Begegnungen zwischen Publikum und Künstler entstehen.

Irina Wolf: Das Programm präsentierte sich so umfangreich wie noch nie. Welches waren die Höhepunkte dieser Jubiläumsausgabe?

Oltiţa Cîntec: Die 10. Auflage eines Festivals ist an sich ein besonderes Ereignis. Daher habe ich auch einen Prolog am 30. September vorbereitet, um die Aufmerksamkeit der nationalen Theatergemeinschaft und des Publikums zu erregen. Es ist mir gelungen, Peter Schumanns weltbekannte Gruppe "Bread and Puppet Theater" aus den USA zum ersten Mal nach Rumänien zu bringen. Diese zeigten auf ihre bekannte Art und Weise die politische Show basic byebye cantastoria, eine Suite von fünf Gesängen. Es war ein fabelhaftes Erlebnis. Kollegen aus Bukarest und Temeswar wollten sich diese Chance nicht entgehen lassen und sind speziell dafür nach Iaşi angereist. Die US-Künstler haben ihre Tradition respektiert, ein paar Stunden vor der Show Roggenbrot, das sie gleich nach der Aufführung mit dem Publikum teilen, selbst vorzubereiten. Sie haben ihr eigenes Mehl mitgebracht und den Teig geknetet, ihn dann ruhen lassen und das Brot gebacken. Dieses wurde zusammen mit einer Knoblauch-Petersilie-Soße sofort nach Vorstellungsschluss serviert. Alles wurde nach den traditionellen Rezepten von Schumanns Mutter vorbereitet. Denn der Künstler stammt aus Schlesien, von wo er nach Übersee ausgewandert ist.

Der zweite absolute Höhepunkt von FITPT 2017 war die Ausstellung Selfie Automation, mit der Rumänien bei der Architekturbiennale in Venedig 2016 vertreten war. Die Ausstellung wurde dann in Utrecht gezeigt und anschließend "zu Hause" in Iaşi. Ich habe schon immer für FITPT solche Exklusivitäten verfolgt, denn nur so können die Festspiele in der überreichlichen Festivallandschaft ihre Attraktivität behalten. 2017 hatten wir über 500 Teilnehmer, unter anderem aus Vietnam, Kanada, Senegal, Burkina Faso, Brasilien, Australien, Neuseeland, USA. Viele von ihnen waren zum ersten Mal in Rumänien. Exklusives zu zeigen ist eines unserer "Geheimnisse". Eben aus diesem Grund glaube ich, dass FITPT von der Brüsseler European Festival Association den Titel "Bemerkenswertes Festival" erhalten hat!

Irina Wolf: Zusätzlich zu Theateraufführungen wurden zahlreiche Bücher präsentiert. Welche Position nimmt das Theaterbuch im kulturellen Leben Rumäniens ein?

Oltiţa Cîntec: Ich bin überglücklich, dass ich zusammen mit meinen Kolleginnen der AICT.Ro (Internationalen Vereinigung der Theaterkritiker von Rumänien), dessen Präsidentin ich bin, einen dritten zweisprachigen Band (Rumänisch-Englisch) herausgebracht habe. Den Büchern "Der junge Theaterkünstler. Aktuelle rumänische Geschichten" und "Die rumänische Regie, vom Theaterakt zum Gemeinschaftsverfahren" folgte jetzt "Das rumänische Theater heute. Neue ästhetische Horizonte". Es handelt sich um eine analytische Trilogie, die ich koordiniert habe und die sehr gut im In- und Ausland aufgenommen wurde, denn es gibt nicht genügend Werke über die lokale Szene, die in einer Weltsprache geschrieben sind. Die ersten beiden Bände der Schriftenreihe wurden sehr geschätzt. Sie wurden auch auf der AICT-Webseite in Paris veröffentlicht.

Außerdem habe ich auch ein zweisprachiges Fotoalbum über FITPT herausgegeben, das ein Jahrzehnt Festivalgeschichte in Bildern und Pressemitteilungen widerspiegelt. Das Interesse an Theaterbüchern hat in den letzten Jahren zugenommen. Es gibt Sammlungen von Facharbeiten bei den rumänischen Verlagen Theater Heute (Teatrul Azi) oder Nemira. Außerdem werden von anderen Festivals landesweit Fachbücher herausgegeben. Jedoch gibt es noch viele offene Themen. Deshalb versuche ich mich, soweit möglich, der Herausgabe von wissenschaftlichen Publikationen zu widmen.

Irina Wolf: Ein Ausnahmeereignis dieser Festivalausgabe war der internationale Workshop für Theaterkritik. Wie kam es dazu? Wie wichtig ist ein Theaterkritiker?

Oltiţa Cîntec: Das internationale Seminar der Theaterkritik wurde in Zusammenarbeit mit der schon früher erwähnten AICT organisiert. Diese fördert nicht nur Theaterpublikationen, sondern auch die Weiterbildung junger Kritiker. Und dafür werden Seminare organisiert. So gab es in diesem Herbst weltweit drei solche Seminare: in Iaşi, in China und in Indien. Diese Veranstaltungen geben jungen Theaterkritikern die Möglichkeit, Produktionen zu besuchen, neue Künstler und Kritiker kennenzulernen, viel zu schreiben und zu veröffentlichen. Einzige Bedingung ist, dass die Jugendlichen nicht älter als 35 sein sollten.

Der Theaterkritiker ist ein wichtiger Bestandteil des Theatergeschehens. Ungeachtet der Liebe-Hass-Beziehung, die es schon immer zwischen Künstlern und Kritikern gegeben hat, ist der Kritiker derjenige, der den Kreis der Schöpfung schließt. Durch seine Expertenanalyse ist er das Bindeglied zwischen Szene und Publikum. In der Publikation "Das rumänische Theater heute. Neue ästhetische Horizonte" habe ich mich genau diesem Thema gewidmet. Der Titel meines Beitrags war "Die Theaterkritik von der Ära Gutenberg zur Zuckerberg-Etappe". Darin bespreche ich, wie wichtig es ist, dass unsere Spezialisten im Zeitalter zunehmender Technologie und dem ständigen Wegfall von Publikationen im Druckformat anpassungsfähig bleiben sollen, damit sie weiterhin über die Schöpfungen der Bühne berichten können.

Irina Wolf: In diesem Jahr ist FITPT insbesondere in quantitativer Hinsicht gewachsen. Welche zukünftige Entwicklung wird das Festival nehmen?

Oltiţa Cîntec: Das Thema für die nächste Auflage steht noch nicht fest, aber ich habe schon ein paar Ideen. So viel ist sicher: Das Programm wird weiterhin so abwechslungsreich und verlockend sein wie bisher.
 


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