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Showcase aus Rumänien: Vorhang auf!

Als erster rumänischer Showcase des vergangenen Jahres präsentierte sich INDEPENDENT
EXTERIOR ausschließlich online. Vom 3. bis 7. November 2021 stellte es fünfzehn herausragende
Theater- und Tanzproduktionen der Bukarester unabhängigen Szene vor. Ein weiteres Vorhaben
der Organisatoren war es, zehn Veranstaltungsorte und -institutionen der Freien Szene
einem internationalen Publikum bekannt zu machen.

Von Irina Wolf
(18. 01. 2022)

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Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.

 


(c) Sorin Florea

"Cassandra"
(Regie: Leta Popescu)




(c) Sorin Florea

"Bildungswoman"
(Regie: Elena Morar)




(c) Marius Sumlea

"Mutter"
(Regie: Mihai Lucacs)




(c) Oana Monica Nae

"Erhitzte Köpfe 2020"
(Regie: David Schwartz)




(c) Stan Eugen Daniel

"Das Kampffeld"
(Regie:
Catinca Drăgănescu)




(c) Sorin Florea

"Moskau ruft an"
(Regie:
Catinca Drăgănescu)




(c) Larisa Balta

"DISCO '89 - Mihaela
Runceanus 7 Todesarten
"
(Regie:
Catinca Drăgănescu)




(c) Claudiu Popescu

"Medea's Boys"
(Regie:
Andrei Măjeri)

 


Linktipp

independentexterior.eu

   Theaterregisseurin und Dramatikerin Catinca Drăgănescu, in deren Händen die künstlerische Gesamtleitung des Showcases liegt, beschreibt die Absicht hinter INDEPENDENT EXTERIOR so: "Wir wollen eine Präsentationsplattform sein, die auf internationaler Ebene Künstler, Produktionen und Institutionen der rumänischen unabhängigen Performancebranche fördert." Dass sich die erste Auflage nur auf die rumänische Hauptstadt konzentrierte, hat finanzielle Gründe, man sei aber bestrebt, in den nächsten Ausgaben das ganze Land abzudecken.

Austragungsorte, NGOs, Vereine, Festivals – eine Vielfalt von Produzenten

Ausgewählt wurden die Beiträge von der Theaterjournalistin, Übersetzerin und Kuratorin Raluca Rădulescu. "Die rumänische unabhängige Theaterszene hat eine fast 25-jährige Geschichte", erläutert Rădulescu und meint, dass in Bukarest die Zahl der Freien Theater fast so hoch sei wie die der staatlich geförderten. Unter der Auswahl der Veranstaltungsorte finden sich unter anderem zentral gelegene private Theater wie das LUNI-Theater@Green Hours (Anm. d. A.: das "Montag-Theater"), Apollo111 und unteatru, aber auch solche, die sich außerhalb der Stadtmitte befinden, zum Beispiel das Replika-Zentrum für Bildungstheater oder das Apropo-Theater. Letzteres ist seit 2018 der einzige Austragungsort im wichtigen Industrie- und Geschäftsviertel Pipera.

INDEPENDENT EXTERIOR hat sich nicht nur dem Theater verschrieben. "In den letzten Jahren erlebte der zeitgenössische Tanz in der Bukarester Freien Szene einen regelrechten Boom", sagt Rădulescu. Tanzaufführungen werden in Theatern produziert (z. B. im unteatru und Apropo-Theater) oder in tanzspezifischen Räumlichkeiten wie Linotip. Performative Kunst wird im Allgemeinen auch von NGOs wie Dialectic Center und Tangaj Collective oder Festivals (z. B. Caleido) gefördert. Einen gesonderten Platz nimmt der Verein der Großzügigkeitsoffensive ein, der seit 2013 die "Saison des Politischen Theaters" an verschiedenen Orten austrägt.

All die unabhängigen Theaterunternehmen und -gruppen setzen wichtige Impulse für Innovationen und Experimente in Kunst und Kultur. Besonders auffallend ist dabei, dass sämtliche Vereine und Spielstätten erst im letzten Jahrzehnt gegründet wurden. Eine Ausnahme bildet das LUNI-Theater, das 1997 als erster privater Austragungs- und Produktionsort in der Jazz-Bar "Green Hours" ins Leben gerufen wurde. Viele der ästhetischen Neuerer und jungen Talente, die in diesem Jahrhundert das rumänische Theater belebt haben, wurden im intimen Kellertheater von der Presse entdeckt.

Frausein im Wandel der Zeit

   Migration, Feminismus, Mängel im Gesundheitswesen sind nur einige der Themen, die die Aufmerksamkeit der Regisseure weckten. So setzte sich unter dem Titel Cassandra Leta Popescu mit dem Zustand der Frau auseinander. Auf humorvoll-ironische Weise untersucht das Stück des kanadischen Duos Norah Sadava und Amu Nostbakken (Originaltitel "Mouthpiece") Mutter-Tochter-Beziehungen und die Dualität des Frauengehirns. Leta Popescus Inszenierung im Apollo111-Theater überzeugt durch eine körperlich herausfordernde Choreografie. Zum Erfolg der Aufführung tragen auch die zwei hervorragenden Schauspielerinnen und nicht zuletzt ein bemerkenswertes Bühnenbild bei.

Mit der Komplexität des Frauseins beschäftigt sich auch Bildungswoman. Die Produktion des Caleido-Festivals verwebt zwei Texte – den der mexikanischen Dramatikerin Ximena Escalante ("Ich schreie von ganzem Herzen auf zum Himmel") und den der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie ("Liebes ljeawele: ein weibliches Manifest in 15 Vorschlägen") – mit den persönlichen Geschichten der Regisseurin Elena Morar sowie der zwei Schauspielerinnen, um Frauenbeziehungen zu untersuchen. Die effektvolle Performance erkundet in Form einer aufsehenerregenden Collage von Theater- und Filmszenen die weibliche Identität. Mihaela Michailov und Radu Apostol, Gründer des Replika-Zentrums für Bildungstheater, nähern sich dem Thema Muttersein aus ganz unterschiedlichen Perspektiven an. Die One-Woman-Performance Die ganze Stille der Welt in Radu Apostols Regie, der auch für das Lichtdesign verantwortlich zeichnet, dokumentiert ein paar Stunden im Leben einer alleinerziehenden Mutter.

Krisen und ihre gesellschaftlichen Folgen

   Mutter lautet auch der Titel der Produktion des Dialectic Centers. Doch geht es im Text von Mihai Lukacs mehr um das Leben in einer nach einer Katastrophe neu erfundenen Welt. Nach US-amerikanischem Muster lassen sich die Ursprünge dieses neuen Lebensraums auf Verschwörungen und Geldgier zurückführen. Mihai Lukacs setzt seinen eigenen Text in eine Musiktheater-Performance mit leicht komischen Akzenten um. Die gospelähnlich vorgetragene Musik von Maria Sgârcitu verstärkt auf subtile Weise die Tücken dieser vom spirituellen Kapitalismus geprägten Welt.

Als Gründer des Vereins der Großzügigkeitsoffensive widmet sich Regisseur David Schwartz bereits seit über einem Jahrzehnt wahren Begebenheiten der rumänischen Geschichte. Das zusammen mit Mihaela Michailov geschriebene Stück Erhitzte Köpfe 2020 untersucht die Zerbrechlichkeit des Gesundheitssystems in unserer pandemischen Gegenwart. Dagegen verhandelt Catinca Drăgănescu in Das Kampffeld die Geschichte eines jungen Asiaten, der in Europa ein besseres Leben sucht. Nach "Rovegan" und "Good for Export" ist die Produktion von unteatru der letzte Teil von Drăgănescus Migrationstrilogie.

Catinca Drăgănescu beeindruckt mit zwei weiteren außergewöhnlichen Inszenierungen. Zwischen familiärer Bindung und politischem Gewissen wirft Moskau ruft an einen Blick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Julia Pospelowas Stück untersucht Swetlana Allilujewas Beziehung zu ihrem Vater Josef Stalin, vor dessen Macht sie in die Vereinigten Staaten geflohen war. Drăgănescus szenische Umsetzung im unteatru bietet dem Publikum ein intensives theatralisches Kinoerlebnis, in dem die Kamera zur Hauptfigur und die Rekonstruktion der Wahrheit ein individuell zu lösendes Rätsel werden. Ausgehend von Interviews und dokumentarischem Material präsentiert DISCO '89 – Mihaela Runceanus 7 Todesarten die letzten Tage der bekannten rumänischen Sängerin aus verschiedenen Blickwinkeln, bevor sie zwei Monate vor dem Sturz des Ceauşescu-Regimes in ihrer Wohnung brutal ermordet wurde. Auch diese Produktion des Apollo111-Theaters führt das Publikum in das 20. Jahrhundert zurück und konfrontiert die Zuschauer mit dem perfiden rumänischen Überwachungssystem.

Theaterdebüts, Tanz, Aspekte des Mannseins

   Zu den (noch) unbekannten Regisseurinnen gehören Andreea Lucaci und Alina Tofan, die im Rahmen des Showcases ihre Debüts vorstellten. Versucht Alina Tofan in Was ist Liebe? Baby, tu mir nicht weh die Liebe zu definieren, widmet sich Andreea Lucaci der Zerstörung unseres Planeten. Letzteres ist eine musikalisch-komische Performance einer Gruppe von frisch gebackenen Absolventen, ausgetragen im LUNI-Theater@Green Hours. Besonders beachtlich ist die Leistung von Alina Tofan, die für Text, Regie und Bühnenbild verantwortlich zeichnet, und zugleich auch in "Was ist Liebe? Baby, tu mir nicht weh" mitspielt.

Vier aktuelle Tanzproduktionen waren ebenfalls Teil des Showcases, darunter zwei One-Woman-Tanzshows: Katastrophe von und mit Andreea Gavriliu und Umgekehrter Diskurs von und mit Ioana Marchidan. Die kollektive Kreation Jenseits des Spiegels erforscht mit poetisch-musikalischen Ausdrucksformen das Körperbild in unserer Gesellschaft. Radu Popescu, Gründer und Leiter des Apropo-Theaters, zeichnet für Dramaturgie und Regie verantwortlich. Koproduktionen des zeitgenössischen Tanzes entstehen in Bukarest auch mit Unterstützung des staatlich finanzierten Nationalen Tanzzentrums. Töchter von Simona Deaconescu ist so eine Zusammenarbeit mit Tangaj Collective. In dieser spartenübergreifenden Tanz-Theater-Produktion auf Rollschuhen geht es um das wiederkehrende Thema Frausein und auch um den Generationenkonflikt.

   Einen Kontrapunkt zum Feminismus bildet Medea's Boys. Ausgehend von Euripides' Stück, verhandelt Autor Ionuţ Sociu in seiner Dekonstruktion der Argonauten-Legende und der Geschichte des Goldenen Vlieses Männerthemen wie Verletzlichkeit, Machismo und Frauenfeindlichkeit. Andrei Măjeris hochgelobte Inszenierung im Apollo111-Theater ist die einzige der im Rahmen des Showcases gezeigten Produktionen, die vor dem Ausbruch der Pandemie entstanden ist.

Die erste Ausgabe von INDEPENDENT EXTERIOR, eine von Idea77 ins Leben gerufene Präsentationsplattform, zeigte herausragende Arbeiten, die jenseits des klassischen Stadttheaterapparates produziert wurden und dabei vor allem durch ästhetische Alternativen und Ansätze das Theater als Medium getestet, erweitert und befragt haben. Tägliche auf Zoom ausgestrahlte Diskussionen ergänzten das Programm.

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