Irina Wolf
irinawolf10 [at]
gmail.com
Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und
Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.
(c) Marcella Ruiz Cruz
"karpatenflecken"
(Regie:
Mira Stadler)
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"niemand spricht warum die
häuser leer. darüber hat das
volk zu schweigen in der rumänischen volksrepublik."
(aus "karpatenflecken")
Es
sind zwei Sätze, welche in aller Kürze eine Zusammenfassung von Auswanderung
der Rumänendeutschen bilden könnten. Oder aber von Flucht und
Antisemitismus? Dies sind nur einige der Themen, die Thomas Perle in seinem
Stück "karpatenflecken" aufgreift. 1987 in Rumänien geboren, emigrierte der
Autor 1991 mit seiner Familie nach Deutschland. Regelmäßig reiste er zurück
in seinen Geburtsort Oberwischau nach Nordrumänien. Seit 2008 lebt er in
Wien, wo er sein Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften
abgeschlossen hat. Kein Wunder, dass Thomas Perle sich von Anfang an in
seinen Theaterstücken mit Anpassung und Brüchen, Identität und Heimat
auseinandergesetzt hat. Und immer wieder blickt der Autor auf Rumäniens
Vergangenheit, packt spannende autobiografische Geschichten aus und erzeugt
dabei ganz exklusive Schicksalspanoramen (so auch in "wir
gingen weil alle gingen", sein Prosadebüt, 2018 erschienen bei
edition exil).
Mehrfach wegen Corona verschoben, hat es
"karpatenflecken", sein 2019 mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeichnetes
Stück, nun endlich zur österreichischen Premiere geschafft, nachdem es Ende
2021 am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt wurde. Drei Frauen aus drei
Generationen – Großmutter, Mutter, Tochter – kommen in "karpatenflecken"
vor. Über 250 Jahre erstreckt sich ihre Familiengeschichte: Von der
Besiedlung Nordrumäniens durch Wischaudeutsche aus der Steiermark durch
Maria Theresia und deren Zwangsmagyarisierung bis hin zum Ende der
kommunistischen Diktatur unter Ceauşescu und einem Neuanfang in Westeuropa.
Beim Erzählen geht Thomas Perle bewusst nicht chronologisch vor, sondern
springt mehrfach zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her.
Bereichert wird das Ganze durch die wunderbare Welt der Sprachenvielfalt.
Denn in der Familie werden drei Sprachen gesprochen: Rumänisch, Ungarisch
und Zipserisch – ein altösterreichischer Dialekt. Das passt wiederum zum
Autor, der ebenfalls mehrsprachig aufgewachsen ist.
Noch
dazu ist Perles Sprachverwendung außergewöhnlich: Da fehlen immer ein paar
Worte, ganze Sätze gibt es nie. Und genau diese verknappte, dichte
Ausdrucksweise kommt auf der kleinen Bühne im Vestibül des Burgtheaters sehr
gut zur Geltung. Moritz Müller schuf ein reduziertes Bühnenbild: In einem
von drei Seiten schwarz umrandeten Raum reichen drei Stühle und ein
Diaprojektor aus, um die am Anfang erwähnten leeren Häuser und das Schicksal
der Vertriebenen darzustellen. Die Familiengeschichte lässt sich problemlos
durch das Abreißen der Blätter des ausschließlich mit Jahreszahlen
versehenen Wandkalenders rekonstruieren. Regisseurin Mira Stadler schafft
es, den Raum geschickt zu nutzen und das meiste aus den wenigen
Quadratmetern zu machen. Es ist wahrhaftig wunderbar, wie aus dem Nichts ein
Tisch hervorgezaubert wird! Mehr sei hier nicht verraten. Die auf die
Rückwand projizierten Dias aus Oberwischau – zum Teil in Schwarz-Weiß –
tragen zur Poetik des Abends bei. Darüber hinaus akzentuiert der effektive
Einsatz von Licht (Enrico Zych) und Musik (Bernhard Eder) die verschiedenen
Sequenzen.
Das Schauspielerinnen-Trio spielt überzeugend und
authentisch. Vor allem Elisabeth Augustin als "Großmutter" hat keine leichte
Aufgabe, muss sie doch fast ständig Zipserisch sprechen. Die "Tante"
(Stefanie Dvorak), die auch als Mutter auftritt, äußert sich dagegen
gelegentlich auf Ungarisch und die "Tochter" (Lena Kalisch) hat fürs
Publikum beides ins Deutsche zu übersetzen. Manchmal bilden die drei einen
alpenländischen Chor, der durchwegs fesselt und für ergreifende Momente
sorgt. Prolog und Epilog runden die Geschichte stimmungsvoll ab, wenn der
Wald und der Berg miteinander reden. Auch wenn alle Siedler weggegangen
sind, und obwohl diese den Wald "schlecht behandelt haben" – ein feiner
Hinweis auf die unkontrollierte Baumfällung und die Holzmafia in Rumänien –,
geben die zwei in Weiß gekleideten und Sonnenbrille tragenden Gestalten
(verkörpert durch Elisabeth Augustin und Stefanie Dvorak) Hoffnung auf eine
bessere Zukunft. Mira Stadlers Inszenierung im Vestibül des Burgtheaters ist
ein ebenso kurzweiliger wie berührender Abend. |
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