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Dämonen, Dinosaurier, Komödien: Showcase in Großwardein

Immer mehr Theater in Rumänien organisieren sechstägige Mikro-Saisonen, um ihre
Produktionen  zu bewerben. Dies gilt auch für das Szigligeti-Theater in Großwardein (Oradea).
Zwischen dem 13. und 18. Juni zeigte die Mikro-Saison nicht weniger als zwölf Produktionen
– bis zu drei pro Tag – in einer Art Präsentationsplattform für das lokale Publikum
sowie für die zu diesem Anlass eingeladenen Fachleute.

Von Irina Wolf
(13. 08. 2023)

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Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.


 

 


(c) Irina Wolf

Königin Maria Theater
 

 

 


(c) fitoradea.ro

"Le Schmürz"
(Regie: Györfi Csaba)
 

 

 


(c) fitoradea.ro

"Magyarosaurus dacus"
(Regie:
Gianina Cărbunariu)
 

 

 


(c) fitoradea.ro

"Csinibaba"
(Regie:
Novák Eszter)
 

   Wie in den meisten Städten in Westrumänien, in denen es eine beträchtliche ungarische Minderheit gibt, teilen sich die ungarische Szigligeti- und die rumänische "Iosif Vulcan"-Gruppe die Bühne des rund 650 Plätze umfassenden Saals im "Königin-Maria"-Theater. So der heutige Name des Prachtbaus, der 1899-1900 nach den Plänen von Fellner und Helmer errichtet wurde und sich nur 13 km von der ungarischen Grenze im Stadtzentrum befindet. Großwardein kann sich zweier weiterer ungarischsprachiger Gruppen rühmen: dem körperbetonten Theaterformen verschriebenen Nagyvárad-Ensemble und der Lilliput-Gruppe, die Kinder für das Theater zu begeistern versucht. Bespielt werden außer dem Theaterhaus selbst noch ein Studiosaal und ein den Kinderproduktionen gewidmeter Raum in der Einkaufspassage "Schwarzer Adler".

Ein beunruhigendes Bild entwirft Boris Vian in seinem 1959 in Paris uraufgeführtem Stück "Die Reichsgründer oder Das Schmürz". Eine Familie, ständig auf der Flucht vor einem unheimlichen Geräusch, die von Stockwerk zu Stockwerk zieht und schließlich in einer elenden Dachkammer landet. Immer mit dabei ist auch das Schmürz, ein von Kopf bis Fuß bandagiertes, von allen geschlagenes und gequältes menschenähnliches Wesen. Aus einem Grund: seine bloße Anwesenheit. Das Schmürz schlägt nicht zurück, aber es bleibt. Die Familie verliert nach und nach ihren ganzen Besitz und löst sich auf. Das Dienstmädchen läuft weg, Mutter und Tochter verschwinden, der Vater erschießt sich. Am Ende bricht das Schmürz, die geschundene Kreatur, lautlos zusammen.

   In Großwardein einfach Le Schmürz genannt, bringt Regisseur-Choreograf Györfi Csaba mit dem Nagyvárad-Ensemble das Stück auf die Bühne. Ein non-verbales, herausforderndes Spiel mit Koffern und Möbeln in ein und demselben Raum, von drei Seiten offen. Je weniger Mitglieder der Familie übrigbleiben, umso kleiner wird die Spielfläche, von der Bühnenbildnerin Cristina Breteanu vorzüglich gelöst durch das einfache Verschieben der hinteren Wand nach vorne. Ein wichtiger Bestandteil der Gestaltung ist die musikalische Untermalung von Boros Csaba, die Spannung hineinbringt. Alle vier Tänzer, die die Familienmitglieder verkörperten, waren hervorragend aufeinander abgestimmt. Doch Törteli Nadin als das Schmürz wird mir am meisten in Erinnerung bleiben, schien ihr Körper doch keine Knochen zu haben. Ein zeitloses Stück, das die Angst vor etwas, das nur in den Köpfen der Menschen existiert, hervorhebt; Angst, die instrumentalisiert wird, um Menschen zu Feinden zu erklären, auszugrenzen und Mitgefühl zu ersticken.

Ein außergewöhnliches Wesen ist auch der Magyarosaurus, eine Dinosaurierart, deren Fossilien in Siebenbürgen von Nopcsa Ferenc entdeckt wurden. Inspiriert von Nopcsas abenteuerlichem Leben, einem im 19. Jahrhundert in Rumänien geborenen Paläontologen, aber auch Geheimdienstagenten, Spion und Anwärter auf den Thron Albaniens, lädt die Inszenierung Magyarosaurus dacus der international bekannten Regisseurin und Autorin Gianina Cărbunariu ein, die Belle Époque mit der Szigligeti-Gruppe Revue passieren zu lassen, wobei der Schwerpunkt auf Nopcsas Persönlichkeit liegt, die ebenso voller Widersprüche ist wie die Zeitspanne des Übergangs von einem Jahrhundert zum anderen. Denn während der Abenteurer Meere und Länder durchquert und wissenschaftliche Studien und Spionageberichte verfasst, zeichnen die Großmächte die Grenzen der Welt neu.

   Über Machtspiele einer anderen Art geht es in Ein toller Tag oder Figaros Hochzeit. Die 1781 von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais geschriebene Komödie in fünf Akten wurde drei Jahre lang von Louis XVI. verboten, nahm doch der Autor den Adel kritisch aufs Korn. Beaumarchais wurde als Sohn eines Uhrmachers geboren und kaufte sich den Adelstitel "de Baumarchais" erst viele Jahre später. Im Laufe seines turbulenten Lebens war er Hofuhrmacher und Hofbeamter. Später machte er sich einen Namen als Waffenhändler und Verleger. Doch worum geht es in dem Stück? Figaro, der Protagonist der Komödie um turbulente Gefühle und Beziehungsdramen, will seine Braut Susanne heiraten. Am Tag der Hochzeit erfährt er, dass sein Herr, der Graf, Susanne nachstellt. Eine frühere Freundin Figaros bietet zusätzlich Ärger, beruft sie sich doch auf ein Eheversprechen Figaros. Ausweg aus dieser Lage bieten Intrigen und Täuschungsmanöver. Beaumarchais Komödie diente für Mozart als Vorlage für seine 1786 uraufgeführte Oper "Die Hochzeit des Figaro". Dank seiner so turbulenten wie witzigen Handlung ist Ein toller Tag oder Figaros Hochzeit noch immer eines der meistgespielten Stücke der französischen Literatur. Im großen Theatersaal in Großwardein setzt Botos Bálint auf ein effizientes lamettaähnliches Bühnenbild und überzeugt mit bunten, opulenten Kostümen. Der Regisseur schafft es, auch mit dem Bespielen des ganzen Saales, der Inszenierung noch mehr Tempo zu verleihen.

Bis zum Brechen voll war der Saal am letzten Abend bei der satirisch-musikalischen Komödie Csinibaba (auf Deutsch "Zuckerpuppe"), eine Bühnenadaption des Kultfilms von 1997 (Regie Tímár Péter) von Gyula Márton. Die Geschichte spielt im Jahr 1962 in einem Budapester Viertel. Während Gagarin um die Erde flog, hat sich in Ungarn seit einiger Zeit nichts mehr ereignet. Doch dann kündigt der kommunistische Jugendverband einen Talentwettbewerb für Musiker an, dessen Sieger Ungarn bei den Weltjugendfestspielen in Helsinki vertreten soll. Eine Amateurpopgruppe will sich dafür qualifizieren. Humorvolle Szenen und unsterbliche Lieder – darunter einige von Fényes Szabolcs aus Großwardein – boten eine Aufführung (Regie: Novák Eszter) für die ganze Familie und ließen nostalgische Stimmung aufkommen: Die ältere Generation wurde daran erinnert, wie es in ihrer eigenen Kindheit war, Jugendliche und Kinder hatten eine unterhaltsame Geschichtsstunde. Es ist nicht das erste Mal, dass mir bewusst wird, wie gut die ungarischen Theatergruppen aus Rumänien sind, wenn es um musikalische Stücke geht. Eine Tradition, die geschickt zum Ausdruck gebracht wird.

   Mit fünf Produktionen der Szigligeti-Gruppe, drei Tanzvorstellungen des Nagyvárad-Ensembles und vier Kinderaufführungen der Lilliput-Gruppe bot das Showcase eine breite Palette von Genres und freute sich über den großen Erfolg beim Publikum. Eine Mikro-Saison, die das künstlerische Profil der Institution durchaus verdeutlichte.

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