Wie
in den meisten Städten in Westrumänien, in denen es eine beträchtliche
ungarische Minderheit gibt, teilen sich die ungarische Szigligeti- und die
rumänische "Iosif Vulcan"-Gruppe die Bühne des rund 650 Plätze umfassenden
Saals im "Königin-Maria"-Theater. So der heutige Name des Prachtbaus, der
1899-1900 nach den Plänen von Fellner und Helmer errichtet wurde und sich
nur 13 km von der ungarischen Grenze im Stadtzentrum befindet. Großwardein
kann sich zweier weiterer ungarischsprachiger Gruppen rühmen: dem
körperbetonten Theaterformen verschriebenen Nagyvárad-Ensemble und der
Lilliput-Gruppe, die Kinder für das Theater zu begeistern versucht. Bespielt
werden außer dem Theaterhaus selbst noch ein Studiosaal und ein den
Kinderproduktionen gewidmeter Raum in der Einkaufspassage "Schwarzer Adler".
Ein beunruhigendes Bild
entwirft Boris Vian in seinem 1959 in Paris uraufgeführtem Stück "Die
Reichsgründer oder Das Schmürz". Eine Familie, ständig auf der Flucht vor
einem unheimlichen Geräusch, die von Stockwerk zu Stockwerk zieht und
schließlich in einer elenden Dachkammer landet. Immer mit dabei ist auch das
Schmürz, ein von Kopf bis Fuß bandagiertes, von allen geschlagenes und
gequältes menschenähnliches Wesen. Aus einem Grund: seine bloße Anwesenheit.
Das Schmürz schlägt nicht zurück, aber es bleibt. Die Familie verliert nach
und nach ihren ganzen Besitz und löst sich auf. Das Dienstmädchen läuft weg,
Mutter und Tochter verschwinden, der Vater erschießt sich. Am Ende bricht
das Schmürz, die geschundene Kreatur, lautlos zusammen.
In Großwardein einfach
Le Schmürz genannt, bringt Regisseur-Choreograf Györfi Csaba mit dem
Nagyvárad-Ensemble das Stück auf die Bühne. Ein non-verbales,
herausforderndes Spiel mit Koffern und Möbeln in ein und demselben Raum, von
drei Seiten offen. Je weniger Mitglieder der Familie übrigbleiben, umso
kleiner wird die Spielfläche, von der Bühnenbildnerin Cristina Breteanu
vorzüglich gelöst durch das einfache Verschieben der hinteren Wand nach
vorne. Ein wichtiger Bestandteil der Gestaltung ist die musikalische
Untermalung von Boros Csaba, die Spannung hineinbringt. Alle vier Tänzer,
die die Familienmitglieder verkörperten, waren hervorragend aufeinander
abgestimmt. Doch Törteli Nadin als das Schmürz wird mir am meisten in
Erinnerung bleiben, schien ihr Körper doch keine Knochen zu haben. Ein
zeitloses Stück, das die Angst vor etwas, das nur in den Köpfen der Menschen
existiert, hervorhebt; Angst, die instrumentalisiert wird, um Menschen zu
Feinden zu erklären, auszugrenzen und Mitgefühl zu ersticken.
Ein außergewöhnliches
Wesen ist auch der Magyarosaurus, eine Dinosaurierart, deren Fossilien in
Siebenbürgen von Nopcsa Ferenc entdeckt wurden. Inspiriert von Nopcsas
abenteuerlichem Leben, einem im 19. Jahrhundert in Rumänien geborenen
Paläontologen, aber auch Geheimdienstagenten, Spion und Anwärter auf den
Thron Albaniens, lädt die Inszenierung Magyarosaurus dacus der
international bekannten Regisseurin und Autorin Gianina Cărbunariu ein, die
Belle Époque mit der Szigligeti-Gruppe Revue passieren zu lassen, wobei der
Schwerpunkt auf Nopcsas Persönlichkeit liegt, die ebenso voller Widersprüche
ist wie die Zeitspanne des Übergangs von einem Jahrhundert zum anderen. Denn
während der Abenteurer Meere und Länder durchquert und wissenschaftliche
Studien und Spionageberichte verfasst, zeichnen die Großmächte die Grenzen
der Welt neu.
Über Machtspiele einer
anderen Art geht es in Ein toller Tag oder Figaros Hochzeit. Die 1781
von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais geschriebene Komödie in fünf Akten
wurde drei Jahre lang von Louis XVI. verboten, nahm doch der Autor den Adel
kritisch aufs Korn. Beaumarchais wurde als Sohn eines Uhrmachers geboren und
kaufte sich den Adelstitel "de Baumarchais" erst viele Jahre später. Im
Laufe seines turbulenten Lebens war er Hofuhrmacher und Hofbeamter. Später
machte er sich einen Namen als Waffenhändler und Verleger. Doch worum geht es
in dem Stück? Figaro, der Protagonist der Komödie um turbulente Gefühle und
Beziehungsdramen, will seine Braut Susanne heiraten. Am Tag der Hochzeit
erfährt er, dass sein Herr, der Graf, Susanne nachstellt. Eine frühere
Freundin Figaros bietet zusätzlich Ärger, beruft sie sich doch auf ein
Eheversprechen Figaros. Ausweg aus dieser Lage bieten Intrigen und
Täuschungsmanöver. Beaumarchais Komödie diente für Mozart als Vorlage für
seine 1786 uraufgeführte Oper "Die Hochzeit des Figaro". Dank seiner so
turbulenten wie witzigen Handlung ist Ein toller Tag oder Figaros
Hochzeit noch immer eines der meistgespielten Stücke der französischen
Literatur. Im großen Theatersaal in Großwardein setzt Botos Bálint auf ein
effizientes lamettaähnliches Bühnenbild und überzeugt mit bunten, opulenten
Kostümen. Der Regisseur schafft es, auch mit dem Bespielen des ganzen
Saales, der Inszenierung noch mehr Tempo zu verleihen.
Bis zum Brechen voll war
der Saal am letzten Abend bei der satirisch-musikalischen Komödie
Csinibaba (auf Deutsch "Zuckerpuppe"), eine Bühnenadaption des Kultfilms
von 1997 (Regie Tímár Péter) von Gyula Márton. Die Geschichte spielt im Jahr
1962 in einem Budapester Viertel. Während Gagarin um die Erde flog, hat sich
in Ungarn seit einiger Zeit nichts mehr ereignet. Doch dann kündigt der
kommunistische Jugendverband einen Talentwettbewerb für Musiker an, dessen
Sieger Ungarn bei den Weltjugendfestspielen in Helsinki vertreten soll. Eine
Amateurpopgruppe will sich dafür qualifizieren. Humorvolle Szenen und
unsterbliche Lieder – darunter einige von Fényes Szabolcs aus Großwardein –
boten eine Aufführung (Regie: Novák Eszter) für die ganze Familie und ließen
nostalgische Stimmung aufkommen: Die ältere Generation wurde daran erinnert,
wie es in ihrer eigenen Kindheit war, Jugendliche und Kinder hatten eine
unterhaltsame Geschichtsstunde. Es ist nicht das erste Mal, dass mir bewusst
wird, wie gut die ungarischen Theatergruppen aus Rumänien sind, wenn es um
musikalische Stücke geht. Eine Tradition, die geschickt zum Ausdruck
gebracht wird.
Mit fünf Produktionen der
Szigligeti-Gruppe, drei Tanzvorstellungen des Nagyvárad-Ensembles und vier
Kinderaufführungen der Lilliput-Gruppe bot das Showcase eine breite Palette
von Genres und freute sich über den großen Erfolg beim Publikum. Eine
Mikro-Saison, die das künstlerische Profil der Institution durchaus
verdeutlichte.