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Auf künstlerischen Wegen zur Solidarität

Armaggedon rebranded war eine der sechs Produktionen, welche "Reactor – Raum für
kreative Experimente", die wichtigste unabhängige rumänischsprachige Theatergruppe in
Klausenburg, im Rahmen ihres Showcases vom 10. bis 13. Februar unter dem Motto
"Routes to Solidarity" zeigte. Das Begleitprogramm des Showcases umfasste zudem
eine Reihe von Debatten und Diskussionen zwischen den zahlreichen
lokalen und ausländischen Gästen.

Von Irina Wolf
(29. 04. 2025)

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Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.



(c) Ioana Groza Pop


"
Armageddon rebranded"
(Regie:
Irisz Kovacs)


(c) Ioana Groza Pop

"Der Ereignishorizont"
(Regie:
Mihai Păcurar)


(c) Ioana Groza Pop


"Der Traum"
(Regie:
Dragoș
Alexandru Mușoiu
)


(c) Ioana Groza Pop


"Liebe"
(Regie:
Petro Ionescu)

   Daria ist 14 Jahre alt und hat einen Traum: Sie möchte eine Sekte gründen. Die Sekte der Traurigen und Einsamen, die Selbstmord begehen wollen. Zu ihr gesellt sich Isadora, ein 16-jähriges Mädchen, das sich selbst verstümmelt, aber nicht sterben will, weil sie befürchtet, in der Hölle zu landen.

In seiner Tragikomödie über Einsamkeit und das Zugehörigkeitsbedürfnis der jungen Generation geht Dramatiker Alex Gorghe von der Beziehung zwischen Jugendlichen und künstlicher Intelligenz aus. Armageddon rebranded heißt Gorghes Text, der 2024 im Rahmen der vom unabhängigen Theater "Reactor – Raum für kreative Experimente" organisierten Drama 5-Residenz entstanden ist. Dabei spielt ChatGPT eine sehr wichtige Rolle und tritt selbst als Figur auf. Diese erklärt Isadora, dass die Hölle gar nicht so schlimm sei und sie sich mit dem Gedanken an den Tod abfinden solle. Letztendlich verwendet Daria gekonnt einen Chatbot für die Herstellung eines Sprengstoffes und findet ihr Ende zwischen Toilettensitzen in der Abteilung für Bad & Sanitär eines Baumarktes.

   In Răzvan Bordoșs Bühnenbild sticht eine blaue Wand aus klappbaren Klodeckeln hervor, die auch als Hintergrund der Übertitelprojektionen dient. Ein ästhetischer Genuss! Trotz des ernsten Themas kommt Gorghes Text voller Wortspiele und Verweise auf rumänische Literaturpersönlichkeiten und bekannte Sänger humorvoll und locker daher. Regisseurin Irisz Kovacs zeigt Gespür für Situationskomik, konzentriert sich ganz auf die Schauspieler, formt Charaktere aus Typen, macht Tempo. Ein ausgesprochen kurzweiliger Abend mit schauspielerischen Glanzleistungen.

Armaggedon rebranded war eine der sechs Produktionen, die Reactor im Rahmen ihres Showcases vom 10. bis 13. Februar unter dem Motto "Routes to Solidarity" zeigte. Den Auftakt machte Der Ereignishorizont (Konzept und Regie: Mihai Păcurar, Text: Ioana Hogman). Die ortsspezifische, zum 10-Jahres-Jubiläum des Theaters gewidmete Produktion, stellte eine dystopische Zukunft der Künstlergemeinschaft vor, die in enger Beziehung zum Reactor steht. Durch den Einsatz von (zu) vielen symbolischen Elementen und Verfremdungseffekten wurden 3353 Tage Theatergeschichte ausgebreitet, während sich vor unseren Augen ein hybrides Forschungslabor entfaltete. Von überall ragten miteinander verbundene Kabel, UV-Lampen und Laptops hervor. Das geisterhafte Lichtspiel durchtränkte die in der futuristischen Umgebung asymmetrisch aufgestellten Tische.

   Für Kenner des historischen Reactor-Jahrzehnts war die Aufführung ein Genuss, blieb jedoch für diejenigen, die mit der Vergangenheit der Theatergruppe nicht vertraut waren, ziemlich rätselhaft. Wesentlich klarer und gut durchdacht präsentierte sich Der Traum (Regie: Dragoș Alexandru Mușoiu, Text: Alexa Băcanu). Am musikalischen Projekt über Machtmissbrauchsfälle im universitären Umfeld waren auch sieben Studierende der Fakultät für Theater und Film in Klausenburg beteiligt.

In einer Collage aus 16 teils lustigen, teils berührenden Szenen wurden in Teil 1. Liebe (Regie: Petro Ionescu, Dramatik: Cosmin Stănilă und Petro Ionescu) verschiedene Aspekte der Liebe erkundet. Besonders ergreifend war die Lesung eines Briefes von Nadezhda Mandelstam an ihren Ehemann Osip, der 1938 in einem Lager im sibirischen Gulag starb.

   Reactors erste Tanzperformance war eindeutig einer der Höhepunkte des Showcases. Basierend auf den Erfahrungen der fünf Darsteller erforschte r.e.g.e.n.e.r.a.t.i.o.n. (Konzept und Choreografie: Beatrice Oneț, Dramatik: Petro Ionescu) ihre Körper in verschiedenen Lebensabschnitten oder sozialen Kontexten. In der Fortsetzung des Prologs, der im langen Flur der ersten Etage stattfand, bestach das Quintett durch explosive Sprünge, verrückte Hüpfeinlagen und kreiselnde Drehungen im Rhythmus der von einem DJ live gespielten Musik. In verschiedener Art und Weise, sowohl verbal als auch gestisch, betonten die Performer ihre Individualitäten und bewahrten zugleich die einzigartige Synergie der Gruppe, wobei das Publikum oft aufgefordert wurde, mit anzupacken: einen Text zu lesen, einen Körper zu stützen oder ein paar Gummibänder zu spannen.

Die letzten beiden Produktionen wurden in einer ehemaligen Synagoge Klausenburgs aufgeführt, die nur 800 Meter von der Reactor-Spielstätte entfernt liegt und in der seit 2020 "ZIZ – Art and Social Area" aktiv ist. Das Showcase endete mit Wunder von Siebenbürgen, einer Mockumentary über eine rumänisch-ungarische Theatergruppe, die auf die latenten Spannungen zwischen den beiden Gemeinschaften hinwies (Regie: Martin Boross, Text: Alexa Băcanu & Martin Boross). Unterschiedliche kulturelle Perspektiven können Kreativität inspirieren und Innovationen vorantreiben.

   Das Begleitprogramm des Showcases umfasste eine Reihe von Debatten und Diskussionen zwischen den zahlreichen lokalen und ausländischen Gästen. Eine zweitägige Tour stellte uns die wichtigsten unabhängigen Kulturorte in Klausenburg vor: das Tranzit House – ein multikulturelles Zentrum für zeitgenössische Kunst in einer weiteren ehemaligen Synagoge, Contemporar & CCC – ein neuer Veranstaltungsort für bildende Kunst sowie drei der erst vor fünf Jahren gegründeten Spielorte: Maidan Creation Center, Magic Puppet Theatre und "Statia" Musical/Theatre. Dennoch bleibt Reactor die wichtigste unabhängige rumänischsprachige Theatergruppe in Klausenburg, der inoffiziellen Hauptstadt Siebenbürgens und eine der Städte mit der zahlenmäßig größten ungarischen Minderheit in Rumänien.

Offenheit gegenüber Menschen und Ideen hat Reactor in einen Katalysator für kreative Energien verwandelt. Das einstöckige Haus, in dem die Gruppe aktiv ist, präsentiert sich als ein Ort, der Meinungsfreiheit und künstlerische Experimente fördert. Zeitgenössisches Schreiben, Residenzen und die Bereitschaft, aufstrebende Künstler zu unterstützen, sind einige der Hauptinteressensgebiete von Reactor. Seine Produktionen basieren auf originellen Ideen und konzentrieren sich auf Themen, die mit den aktuellen sozialen Kontexten eng verbunden sind. 

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