Daria ist 14
Jahre alt und hat einen Traum: Sie möchte eine Sekte gründen. Die Sekte der
Traurigen und Einsamen, die Selbstmord begehen wollen. Zu ihr gesellt sich
Isadora, ein 16-jähriges Mädchen, das sich selbst verstümmelt, aber nicht
sterben will, weil sie befürchtet, in der Hölle zu landen.
In seiner Tragikomödie über Einsamkeit und das
Zugehörigkeitsbedürfnis der jungen Generation geht Dramatiker Alex Gorghe
von der Beziehung zwischen Jugendlichen und künstlicher Intelligenz aus.
Armageddon rebranded heißt Gorghes Text, der 2024 im Rahmen der vom
unabhängigen Theater "Reactor – Raum für kreative Experimente" organisierten
Drama 5-Residenz entstanden ist. Dabei spielt ChatGPT eine sehr wichtige
Rolle und tritt selbst als Figur auf. Diese erklärt Isadora, dass die Hölle
gar nicht so schlimm sei und sie sich mit dem Gedanken an den Tod abfinden
solle. Letztendlich verwendet Daria gekonnt einen Chatbot für die
Herstellung eines Sprengstoffes und findet ihr Ende zwischen Toilettensitzen
in der Abteilung für Bad & Sanitär eines Baumarktes.
In Răzvan
Bordoșs Bühnenbild sticht eine blaue Wand aus klappbaren Klodeckeln hervor,
die auch als Hintergrund der Übertitelprojektionen dient. Ein ästhetischer
Genuss! Trotz des ernsten Themas kommt Gorghes Text voller Wortspiele und
Verweise auf rumänische Literaturpersönlichkeiten und bekannte Sänger
humorvoll und locker daher. Regisseurin Irisz Kovacs zeigt Gespür für
Situationskomik, konzentriert sich ganz auf die Schauspieler, formt
Charaktere aus Typen, macht Tempo. Ein ausgesprochen kurzweiliger Abend mit
schauspielerischen Glanzleistungen.
Armaggedon rebranded war eine der sechs Produktionen,
die Reactor im Rahmen ihres Showcases vom 10. bis 13. Februar unter dem
Motto "Routes to Solidarity" zeigte. Den Auftakt machte Der
Ereignishorizont (Konzept und Regie: Mihai Păcurar, Text: Ioana Hogman).
Die ortsspezifische, zum 10-Jahres-Jubiläum des Theaters gewidmete
Produktion, stellte eine dystopische Zukunft der Künstlergemeinschaft vor,
die in enger Beziehung zum Reactor steht. Durch den Einsatz von (zu) vielen
symbolischen Elementen und Verfremdungseffekten wurden 3353 Tage
Theatergeschichte ausgebreitet, während sich vor unseren Augen ein hybrides
Forschungslabor entfaltete. Von überall ragten miteinander verbundene Kabel,
UV-Lampen und Laptops hervor. Das geisterhafte Lichtspiel durchtränkte die
in der futuristischen Umgebung asymmetrisch aufgestellten Tische.
Für Kenner des
historischen Reactor-Jahrzehnts war die Aufführung ein Genuss, blieb jedoch
für diejenigen, die mit der Vergangenheit der Theatergruppe nicht vertraut
waren, ziemlich rätselhaft. Wesentlich klarer und gut durchdacht
präsentierte sich Der Traum (Regie: Dragoș Alexandru Mușoiu, Text:
Alexa Băcanu). Am musikalischen Projekt über Machtmissbrauchsfälle im
universitären Umfeld waren auch sieben Studierende der Fakultät für Theater
und Film in Klausenburg beteiligt.
In einer Collage aus 16 teils lustigen, teils berührenden
Szenen wurden in Teil 1. Liebe (Regie: Petro Ionescu, Dramatik:
Cosmin Stănilă und Petro Ionescu) verschiedene Aspekte der Liebe erkundet.
Besonders ergreifend war die Lesung eines Briefes von Nadezhda Mandelstam an
ihren Ehemann Osip, der 1938 in einem Lager im sibirischen Gulag starb.
Reactors erste
Tanzperformance war eindeutig einer der Höhepunkte des Showcases. Basierend
auf den Erfahrungen der fünf Darsteller erforschte
r.e.g.e.n.e.r.a.t.i.o.n. (Konzept und Choreografie: Beatrice Oneț,
Dramatik: Petro Ionescu) ihre Körper in verschiedenen Lebensabschnitten oder
sozialen Kontexten. In der Fortsetzung des Prologs, der im langen Flur der
ersten Etage stattfand, bestach das Quintett durch explosive Sprünge,
verrückte Hüpfeinlagen und kreiselnde Drehungen im Rhythmus der von einem DJ
live gespielten Musik. In verschiedener Art und Weise, sowohl verbal als
auch gestisch, betonten die Performer ihre Individualitäten und bewahrten
zugleich die einzigartige Synergie der Gruppe, wobei das Publikum oft
aufgefordert wurde, mit anzupacken: einen Text zu lesen, einen Körper zu
stützen oder ein paar Gummibänder zu spannen.
Die letzten beiden Produktionen wurden in einer
ehemaligen Synagoge Klausenburgs aufgeführt, die nur 800 Meter von der
Reactor-Spielstätte entfernt liegt und in der seit 2020 "ZIZ – Art and
Social Area" aktiv ist. Das Showcase endete mit
Wunder von Siebenbürgen, einer Mockumentary über eine
rumänisch-ungarische Theatergruppe, die auf die latenten Spannungen zwischen
den beiden Gemeinschaften hinwies (Regie: Martin Boross, Text: Alexa Băcanu
& Martin Boross). Unterschiedliche kulturelle Perspektiven können
Kreativität inspirieren und Innovationen vorantreiben.
Das
Begleitprogramm des Showcases umfasste eine Reihe von Debatten und
Diskussionen zwischen den zahlreichen lokalen und ausländischen Gästen. Eine
zweitägige Tour stellte uns die wichtigsten unabhängigen Kulturorte in
Klausenburg vor: das Tranzit House – ein multikulturelles Zentrum für
zeitgenössische Kunst in einer weiteren ehemaligen Synagoge, Contemporar &
CCC – ein neuer Veranstaltungsort für bildende Kunst sowie drei der erst vor
fünf Jahren gegründeten Spielorte: Maidan Creation Center, Magic Puppet
Theatre und "Statia" Musical/Theatre. Dennoch bleibt Reactor die wichtigste
unabhängige rumänischsprachige Theatergruppe in Klausenburg, der
inoffiziellen Hauptstadt Siebenbürgens und eine der Städte mit der
zahlenmäßig größten ungarischen Minderheit in Rumänien.
Offenheit gegenüber Menschen und Ideen hat Reactor in
einen Katalysator für kreative Energien verwandelt. Das einstöckige Haus, in
dem die Gruppe aktiv ist, präsentiert sich als ein Ort, der Meinungsfreiheit
und künstlerische Experimente fördert. Zeitgenössisches Schreiben,
Residenzen und die Bereitschaft, aufstrebende Künstler zu unterstützen, sind
einige der Hauptinteressensgebiete von Reactor. Seine Produktionen basieren
auf originellen Ideen und konzentrieren sich auf Themen, die mit den
aktuellen sozialen Kontexten eng verbunden sind.