Eines
der Hauptthemen der fünf gezeigten Produktionen war die Migration. Grund
dafür ist die Tatsache, dass zehn Jahre nach dem Beitritt Rumäniens zur
Europäischen Union ein Großteil seiner Bürger – vor allem auf der Suche nach
besseren Arbeitsbedingungen – das Land in Richtung Westeuropa verlässt.
Inspiriert von Liliana Nechits Roman "Sauerkirschen" erkundete Rovegan
anhand des rumänischen Volksmärchenklassikers "Die Ziege und die drei
Geißlein" das Migrationsphänomen. Mit minimalen Mitteln erzählten drei
hervorragend agierende Schauspielerinnen die hochemotionale Geschichte einer
Mutter, die ihre Familie verlässt, um Arbeit in Italien zu finden.
Geschrieben und inszeniert von Catinca Drăgănescu, nutzte Rovegan die
Form des kollektiven "Storytellings" und verwandelte so den Theaterabend in
ein mitreißendes Erlebnis. Wie aktuell das Auswanderungsproblem in der
heutigen rumänischen Gesellschaft ist, bewies das ebenfalls von Drăgănescu
inszenierte Stück Good for Export von Alex Tocilescu. Über Migration
sprach auch Exit von Árpád Schilling (eine detaillierte Rezension
darüber ist in der
Aurora-Magazin-Ausgabe vom 07.08.2017 zu finden).
Der einzige
internationale Beitrag kam aus Frankreich. In achtundzwanzig Szenen, die
sich weltweit in vierzehn Ländern abspielten, unternahm Ogres eine
Reise durch die Welt der Homophobie, und das in einer Zeit, in der von einem
Großteil der rumänischen Öffentlichkeit Homosexuelle zunehmend ausgegrenzt
werden. Die Produktion der gleichnamigen Künstlergruppe, die 2015 vom
französischen Autor Yann Verburgh und dem rumänischen Regisseur Eugen
Jebeleanu ins Leben gerufen wurde, entstand nach einer intensiven
Dokumentationsarbeit. In einem minimalen Bühnenbild (entworfen von Velica
Panduru) und bei entsprechender Lichtstimmung betrachteten fünf Schauspieler
Homophobie aus unterschiedlichsten Blickwinkeln. Dabei verkörperten sie
nicht weniger als dreißig Personen – Opfer, Aggressoren, Familien und
Zeugen.
Der
Höhepunkt der vierten Auflage der Internationalen Bukarester
Theaterplattform war jedoch das Projekt Romania 100. Angesichts der
Tatsache, dass das Land 2018 sein hundertjähriges Bestehen als moderner Staat
feiern wird, haben Kuratorin Cristina Modreanu und Casting-Direktorin
Florentina Bratfanof hundert Rumänen ausgesucht, um deren Lebensgeschichten
"live" auf die Bühne zu bringen. Personen aus allen sozialen Klassen und
Altersgruppen, unterschiedlicher ethnischer Herkunft und Religion,
verschiedener Sexualorientierung und Geschlechtsidentität, vertrauten dem
Publikum ihre ganz intimen Geschichten an. Es war ein zutiefst emotionaler
Abend in der Regie von Peter Kerek, der ein komplexes Bild des heutigen
Rumänien vorstellte. Eine ganztägige Ausstrahlung von Hörspielen, gewidmet
dem Festivalthema "Europa?", Filmvorführungen und eine Podiumsdiskussion zum
Thema "Wie europäisch ist das rumänische Theater heute?" rundeten die
Festspiele ab.