Nicht nur die Freiwilligen
gelten als Beweis der jugendlichen Seele des in Suczawa in der historischen
Landschaft Bukowina im Nordosten Rumäniens 2016 gegründeten Theaters.
Die Institution ist noch "minderjährig",
entwickelte sich dessen ungeachtet prächtig unter dem Management von Angela
Zarojanu und der Beratung des Dramatikers Matei Vişniec.
Pfeifen und Vogelscheuchen können vom Krieg nicht
zerstört werden
Unter dem Motto
"Theater,
Kulturdiplomatie" wurde die achte Festival-Ausgabe
mit der Premiere des Gastgebertheaters Wie wir Josef Stalin beerdigten
eröffnet. Artur Solomonov verfasste den Text mit dem Untertitel
"ein Stück über Flexibilität und Unsterblichkeit"
im Jahr 2018, bevor er Russland in Richtung Israel verließ. Nur zwei
russische Theater wagten es, das Stück auf die Bühne zu bringen, denn
Solomonovs Text zeigt, wie leicht sich ein Mensch in einen Tyrannen
verwandeln kann. Der Handlung zufolge beginnt ein Theater fieberhaft damit,
eine Inszenierung zu ändern, die Stalin lächerlich macht, nachdem sich der
russische Präsident von dem, was er auf der Bühne sieht, nicht begeistert
zeigt. Doch schon bald wird das Theater selbst zum Modell des
stalinistischen Totalitarismus. Verblüffend aktuell und zugleich humorvoll
präsentiert sich Solomonovs Stück. Regisseur Theodor-Cristian Popescu
verwendet ein beeindruckendes Bühnenbild mit 36 von der Decke hängenden
riesigen Eimern, die als Reflektoren dienen. Die live am Klavier gespielte
Musik ist neben dem Lichtdesign ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die
Inszenierung. Der Regisseur bespielt den gesamten Theatersaal und legt
großen Wert auf Details. Erschreckend ist die Szene, in der der Darsteller – zwischen den Zuschauern stehend
– vom Balkon aus die Rollen brüllend neu besetzt.
Ein kluger Regie-Einfall, Machtausübung darzustellen. Hinzu kommt die
Markierung von Stalins Pfeife an der Rampe durch Scheinwerfer. Ein weiteres
Beispiel für die Allgegenwart des Diktators. Vor allem aber sorgen die
großartigen Schauspieler für einen kurzweiligen Abend.
Mit seinen 84.000 Einwohnern liegt Suczawa nahe der
Grenze zur Ukraine und Moldawien. So umfasste das Programm der achten
Auflage Auftritte von Theatergruppen aus diesen beiden Ländern, aber auch
Vorstellungen rumänischer Theater, die sich den politischen Konflikten in
der Region widmeten. Die Geschichte von Ich liebe dich! Ich liebe dich!
Ich liebe dich! spielt im russisch-georgischen Krieg 2008. Die unter der
Regie von Andro Enukidze aus Georgien im Theater von Botoşani
(45 km östlich von Suczawa) entstandene Produktion vermittelt einen
klassischen Eindruck in Bühnenbild und Kostüme. Die zum Teil melodramatische
Handlung des Textes des ebenfalls georgischen Autors Avtandil Varsimashvili
wird durch viele humorvolle Szenen und Personen aufgeheitert, wie den
Selbstgesprächen einer Vogelscheuche oder den Dialogen zwischen einer Statue
und einem toten Soldaten.
Höhepunkte für Jugendliche und Erwachsene
Auf dem Programm standen außerdem Theaterworkshops für
Kinder und Jugendliche sowie zahlreiche Shows mit und für Schüler, entwickelt
unter der Leitung der Schauspieler des Gastgebertheaters. Im Allgemeinen
widmet das Theater seine besondere Aufmerksamkeit der kulturellen Bildung
von Kindern und Jugendlichen. Ein weiterer Beweis dafür ist der
internationale Matei-Vişniec-Dramatikwettbewerb, unterstützt
vom Rotary Club Suczawa Bukowina, einem der unzähligen Sponsoren des
Festivals. Darüber hinaus wurde eine Neuinszenierung von Matei Vişniecs
Text Occident Express in der Regie von Alain Timár im
ehemaligem Ballsaal des historischen Stadtbahnhofs Burdujeni gezeigt.
Überhaupt fand das breite Spektrum an Indoor- und Outdoor-Veranstaltungen an
nicht weniger als 20 Spielplätzen in den umliegenden Städten der Region
statt.
Ein mit Spannung erwartetes Highlight war die Produktion
des Metropolis-Theaters aus Bukarest Wer hat meinen Vater umgebracht.
Regisseur Andrei Măjeri verlegt die Geschichte des Romans
von Édouard Louis in eine Turnhalle und setzt dabei von Beginn an auf
eine Vervielfachung des Protagonisten in einer rein männlichen Besetzung.
Das mit Turngeräten bestückte Bühnenbild suggeriert Konfrontation,
Wettbewerb und Männlichkeit. Eine Männlichkeit, der sowohl Vater als auch
Sohn Tribut zollen werden. Die intensive, visuell beeindruckende und
dynamische Inszenierung weist tiefgründige sozialpolitische Bezüge zur
unterdrückten Sexualität, Mobbing und übermäßiger körperlicher Arbeit auf.
Eine für die rumänische Theaterszene außergewöhnliche Produktion über
Identität, Armut und Familientrauma mit sechs brillanten, sehr jungen
Schauspielern in einem performativen Rahmen, der auf Gruppenchoreografie
basiert. Alle sechs Künstler bewegen sich gut, und die von Andrea Gavriliu
ausgearbeitete Choreografie ist alles andere als einfach. Es ist kein
Zufall, dass die Vorstellungen in Bukarest immer ausverkauft sind.
Weiters konnten Besucher die Werke etablierter Regisseure
wie Radu Afrim, Radu Apostol oder Alexandra Badea sehen. Lesungen,
Buchpräsentationen und Podiumsdiskussionen ergänzten das Programm. Neben
vielen Theaterdarbietungen waren im Festival auch musikalische
Programmpunkte zu entdecken. Ein wahres Projekt der Kulturdiplomatie bot ein
Konzert im Innenhof der Fürstenburg Suczawas. Das vom Komponisten Tibor Cari
geleitete Orchester bestand aus Instrumentalisten aus mehreren rumänischen
Städten. Vier Frauen vermischten ihren individuellen Stil, ihren Charakter
und ihr Können zu einem einzigartigen Gesangs-Cuvée und ließen ihren Charme
stimmgewaltig über die Bühne gleiten. Ihnen schlossen sich zwei Schauspieler
des Gastgebertheaters an. Es ist genau diese Mischung aus individueller
Interpretation und kollektiver Gestaltung, die trotz der eisigen Kälte zu
einer fabelhaften Stimmung beitrug. Besucher ließen sich den Spaß nicht
verderben, sangen und tanzten zu mitreißenden Klängen, inspiriert von
rumänischen, ungarischen, serbischen, kroatischen und deutschen
Folklore-Themen. Jeder Programmpunkt war ein vorzügliches "Stück Kuchen" für Kulturdiplomatie, um im Einklang mit dem
originellen Festivalplakat zu bleiben, auf dem eine Torte als Kopfbedeckung
den fröhlichen Ausdruck der Festspiele unterstreicht.