Bereits
zum zwanzigsten Mal fand vom 30. Oktober bis 7. November 2010 das
Nationaltheaterfestival in Bukarest statt. Im dritten und letzten Jahr der
Intendanz von Cristina Modreanu wurde der Weg der Internationalisierung der
Festspiele fortgesetzt. Anlässlich des Jubiläumsjahrs waren hochkarätige
Gastspiele aus dem Ausland zu sehen: Hey Girl! von Romeo Castelucci
(Italien), Stereoscopic Trilogy von Billy Cowie (Schottland) und
Dybuk von Szymon Anski und Hanna Krall, inszeniert von Krzysztof
Warlikowski (Polen). Obwohl diese Produktionen schon seit Jahren in
Westeuropa bekannt und geschätzt sind, wurde damit dem rumänischen Publikum
erstmals die Möglichkeit gegeben, aktuelle und innovative Trends der
europäischen Theaterszene kennenzulernen.
Lebensnotwendige Sauerstoffquellen
Zu
den eindeutigen Höhepunkten des Festivals zählten die Premieren. Zwei
Neuproduktionen trugen die Handschrift der Regisseure Matthias Langhoff und
Rodrigo Garcia. Eröffnet wurde das Festival mit Langhoffs Inszenierung von
Shakespeares Maß für Maß am Ungarischen Staatstheater Klausenburg.
Garcias No dogs allowed, eine Uraufführung des Nationaltheaters
"Mihai Eminescu" Temeswar, war jedoch das unbestrittene Highlight der
Festspiele. Durch die Kooperation zwischen international anerkannten
Künstlern und rumänischen Theaterhäusern verwirklichte die engagierte
künstlerische Leiterin ihr Anliegen, die rumänische Szene an das europäische
Theaterleben anzuknüpfen. Laut Cristina Modreanu ist die Zusammenarbeit mit
ausländischen Regisseuren "eine lebensnotwendige Sauerstoffquelle für das
rumänische Theater". Dass aber auch rumänische Kunstschaffende im Ausland
erfolgreich sind, bewies das von Silviu Purcărete in Paris für die Bühne
adaptierte Stück Der König stirbt von Eugène Ionesco, eine glanzvolle
Koproduktion von Theatern aus Frankreich, Slowenien, Luxemburg und
Mazedonien, die den Abschluss der Festspiele krönte.
Romanian
Showcase
Den
Schwerpunkt des Festivals bildete die Sektion "Romanian Showcase 3". Diese
sollte den aus dem Ausland angereisten Journalisten und Theaterleuten
ermöglichen, die rumänische Theaterszene zu entdecken und zu fördern. Bei
der dritten Auflage wurde diesmal nicht zwischen staatlichen und
unabhängigen Theaterproduktionen differenziert. "Ich habe beschlossen, die
Produktionen der alternativen Szene in die offizielle Sektion einzubinden,
da sie sich aus künstlerischer Sicht von den staatlichen nicht
unterscheiden", erläutert die Intendantin ihre Entscheidung. "Dazu kommt,
dass sich das unabhängige System in den letzten Jahren auf eine dynamische
und positive Art entwickelt hat, worauf ich besonders aufmerksam machen
möchte", ergänzt sie.
Innerhalb von neun Tagen
wurde eine Auswahl der landesweit besten und interessantesten Inszenierungen
präsentiert. Zwanzig rumänische Spielgruppen aus zehn Städten, darunter die
unabhängigen Theater "Yorick Studio" und "Teatrul 74" aus Târgu
Mureş/Neumarkt, das "M Studio" aus Sfântu Gheorghe/Sankt Georgen, das "Green
Hours" Theater und das "La Scena Club", beide aus Bukarest, sorgten zusammen
mit den Nationaltheatern für ein vielfältiges und spannendes Programm.
Die
Palette der Themen umfasste sämtliche Bereiche, sowohl Improvisations- und
Dokumentartheater als auch Musical und Tanz. Im Repertoire fanden sich neben
Stücken klassischer und zeitgenössischer Autoren (u.a. Euripides, Homer,
Dostojewski, Tschechow, Beckett, Dorst, Mamet, Liebrecht, Bogosian,
Srbljanovic), auch einige für die Theaterbühne erfolgreich adaptierte Filme
wie Schreie und Flüstern von Ingmar Bergman, Breaking the Waves /
The blessed life of Bess von Lars von Trier und Thomas Vinterbergs
Das Fest. Mehr als zwanzig Inszenierungen trugen die Namen arrivierter
Regisseure und des jungen Nachwuchses, so etwa Mihai Măniuţiu, Alexandru
Tocilescu, Alexandru Dabija, Vlad Massaci, Radu Afrim, Radu-Alexandru Nica,
Gianina Cărbunariu, Theo Herghelegiu, Cristian Ban und David Schwartz.
Ergänzt wurden diese von den Newcomern Andreea Tănăsescu und Alexandru
Măzgăreanu, die in der von Modreanu 2008 initiierten Sektion "Debüt" mit
ihren gelungenen Produktionen Exile to the Land of Oblivion von
Shakespeare und Die Büroangestellten von Tschechow überzeugten.
Etliche Konferenzen, für
die unter anderem Lee Breuer (eine lebende Legende des amerikanischen
avantgardistischen Theaters), Michal Kobialka (der Spezialist von Kantors
Werk), George Banu und David Esrig gewonnen werden konnten, bereicherten das
Festival. Daneben gab es eine Fülle von Buchpräsentationen (nicht weniger
als siebenundzwanzig!), die den rumänischen Theaterschaffenden helfen
sollen, die Jahre der kommunistischen Isolation aufzuholen.
Diskussionsrunden, persönliche Begegnungen mit Regisseuren und Theoretikern,
Filmvorführungen und Ausstellungen rundeten das Programmangebot ab.
"Während
meiner dreijährigen Intendanz habe ich versucht, durch die Auswahl, die ich
getroffen habe, das Klischee-Denken zu entmutigen und den Widerstand dem
Neuen gegenüber, der leider zu oft im rumänischen Theater zu spüren ist, zu
untergraben", sagt Modreanu. Ihrer Meinung nach ist ein qualitativ
hochwertiges Theater dazu bestimmt, "zu provozieren". Mit Spannung wird der
von der neuen Intendantin eingeschlagene Weg erwartet.