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Tagebuch einer Revolution

Knapp nach dem ersten coronabedingten Lockdown feierte am Nationaltheater Bukarest
"Tagebuch Rumänien. 1989" der Künstlerin Carmen Lidia Vidu Premiere. Bekannt als Multimedia-
Theater- und Filmregisseurin sorgte Vidu bereits in den letzten fünf Jahren für Aufsehen
auf der nationalen und internationalen Szene mit ihrem Projekt "Tagebuch Rumänien".

Von Irina Wolf
(09. 01. 2021)

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   Im Jahr 2017 gastierte Vidu im Schauspielhaus Wien mit "Tagebuch Rumänien. Sfântu Gheorghe" und "Tagebuch Rumänien. Constanţa". Zwei Jahre später war sie im Theaterhaus Jena mit "Tagebuch Rumänien. Temeswar" zu Gast. Im November 2020 gewann sie bei den Internationalen Filmfestspielen Karlsruhe Independent Days den Female Award (gestiftet von der Stadt Karlsruhe) für den Kurzfilm "My Romanian Diary".

Ausschlaggebend für dieses umfangreiche dokumentarische Projekt, das unter dem Übertitel "Tagebuch Rumänien" entstand, war ein verheerendes Feuer 2015, bei dem in einem Klub in Bukarest 64 Menschen ums Leben kamen. Die Unfähigkeit des Staates, Korruption zu bekämpfen und seine Bürger zu schützen, regte Vidu dazu an, sich vom herkömmlichen Theater abzuwenden und sich gesellschaftspolitisch zu engagieren.

Waren die ersten drei Theaterproduktionen ebensovielen rumänischen Städten gewidmet, fasst Vidu in "Tagebuch Rumänien. 1989" den Umsturz des Kommunismus in ihrem Lande ins Auge. Die rumänische Revolution dauerte nur eine Woche; in den Wirren starben aber über 1000 Menschen. Am 25. Dezember 1989 wurde Diktator Nicolae Ceauşescu exekutiert. Bis zum heutigen Tag werden die Umstände des politischen Wechsels in Rumänien kontrovers diskutiert. "Tagebuch Rumänien. 1989 ist meine Art zu zeigen, dass man selbst die Geschichte mitgestaltet, dass die eigene Einstellung wichtig ist", sagt Vidu im gut gestalteten Programmheft. Diese Auffassung entstand aus der Überzeugung der Künstlerin, dass "das Theater Gefahr läuft, für die Gemeinschaft irrelevant zu werden" und dass "Selbstgefälligkeit zu unserer Isolation führt, denn wir hören nur auf Meinungen, die unsere eigenen bestätigen."

   Für alle Tagebücher zeichnet Carmen Lidia Vidu für Text und Regie verantwortlich. Der Ablauf ist immer derselbe: Die Regisseurin spricht während des Entstehungsprozesses mit den Schauspielern sowohl über deren Privatleben als auch über ihre Mitgestaltung und Mitwirkung am Stadtleben beziehungsweise an der Revolution. Danach wird das Material gesichtet und die Einzelauftritte der jeweiligen Ensemblemitglieder zu einem stimmigen Ganzen zusammengefügt. Ion Caramitru, Oana Pellea, Florentina Țilea und Daniel Badale sind die vier Protagonisten von "Tagebuch Rumänien. 1989". Sie verkörpern keine Charaktere, sie enthüllen einen Teil ihrer eigenen Biografie und schildern vor allem, wie sie die turbulenten Ereignisse von 1989 erlebt haben. Die vier Perspektiven könnten nicht unterschiedlicher sein. Ion Caramitru, derzeit Direktor des Nationaltheaters Bukarest, war zur Zeit der Revolution 47 Jahre alt und zählte zu den bekanntesten Schauspielern Rumäniens. "Brüder, wir haben gewonnen!", rief er 1989 voller Begeisterung in der Live-Ausstrahlung des rumänischen Fernsehsenders TVR. Heute verurteilt Caramitru vehement die "gescheiterte" Revolution. Die seinerzeit 26-jährige Oana Pellea folgte im Dezember 1989 dem Aufruf zur Verteidigung des Fernsehsenders, ein Ort, um den harte Kämpfe ausgefochten wurden. Sie wurde irrtümlicherweise für die Frau eines Terroristen gehalten. "Nichts im Leben ist umsonst, nur der Tod", sagt die Schauspielerin. Worte, die mit Sicherheit vielen Zuschauern nahegehen.

Florentina Țilea war 1989 erst zwölf Jahre alt. Sie gehört zur Generation, "die mit Angst erzogen wurde". Țilea war Teil der auserwählten Kinder, welche patriotische Gedichte während Ceauşescus Stadtbesuchen in Iaşi vortragen sollten. Als seine Rezitatorin genoss sie Privilegien wie Cola-Getränke, Bananen und Auslandsreisen in die DDR. Ceauşescus Erschießung erfüllte sie mit Trauer. Sie vergoss sogar einige Tränen. Ein Sonderfall ist auch Daniel Badale. Vor 30 Jahren leistete er den Militärdienst und hätte somit seinen Befehlen entsprechend auf die rebellierende Zivilbevölkerung schießen müssen – wozu es glücklicherweise nicht kam. Er erinnert sich, dass sein gepanzertes Kampffahrzeug zur Zeit der Revolution am Universitätsplatz im Zentrum Bukarests positioniert war und vor ihm sich unter anderem Ion Caramitru befand.

   Es sind völlig verschiedene Eindrücke von Menschen aus unterschiedlichen Generationen, die Vidus Inszenierung präsentiert. Die vier einzigartigen Monologe werden durch drei Videoeinspielungen ergänzt. Diese enthalten Interviews mit Dan Voinea (ehemaliger Staatsanwalt, der die "Revolutionsakte" untersuchte), Germina Nagâț (Mitglied des Nationalen Kollegiums für das Studium des Sicherheitsarchivs) und mit dem bekannten britischen Historiker Dennis Deletant (ein Experte für den rumänischen Kommunismus). Ihre kurzen Interventionen liefern wichtige Informationen und werden als Verbindungselemente zwischen den vier Liveauftritten der Schauspieler eingesetzt. All diese Erzählungen ergeben ein anschauliches Bild jener Zeit.

Und doch leben Carmen Lidia Vidus Inszenierungen sowohl von den unterschiedlichen Bühnenpersönlichkeiten als auch von der Umrahmung, in die ihre jeweiligen Geschichten eingebettet werden. Gut ausgesuchte Fotos aus dem Leben der Darsteller und ihrer Familien, pfiffige Videosequenzen greifen ineinander und erzeugen ein Gesamtbild, das besonders spannend wirkt. Im Falle von "Tagebuch Rumänien. 1989" spielt der Multimedia-Teil eine besondere Rolle. Aufgrund der Pandemie musste die für das Frühjahr ursprünglich geplante Premiere verschoben werden. Die neuen restriktiven Maßnahmen führten dazu, dass sie im Freien auf der spektakulären Dachterrasse des Theaters gezeigt wurde. Anstatt der über 300 Sitzmöglichkeiten konnten in der Amphitheater-Halle im siebenten Stockwerk nur 60 zur Verfügung gestellt werden.

   Groß war das Staunen, als die Zuschauer von Vidus Projektionen von den Bildern, welche die dramatischen Ereignisse der Revolution, aber auch aus dem Leben der Schauspieler zeigen, gewissermaßen "überrollt" wurden: Die Regisseurin nutzte zu diesem Zweck die riesige Fläche der zur Verfügung stehenden Leinwand von 33 Metern Länge und 21 Metern Höhe, die auf dem Dach des Gebäudes thront. Die Projektionen blieben auch von Passanten am Universitätsplatz nicht unbemerkt. Dass der Universitätsplatz als Kilometer null der Revolution bezeichnet wird, weil dort die meisten Menschen 1989 starben, gilt ebenfalls als emblematisch. Es sei hier noch erwähnt, dass Cristina Baciu den Multimedia-Ansatz leitet, Ovidiu Zimcea für die Musik und Gabriela Schinderman für den Comicstreifen, der die chronologische Abfolge der Ereignisse wiedergibt, verantwortlich zeichnen. Sie alle tragen zum Erfolg der Inszenierung bei.

Vidus dokumentarische Multimedia-Theaterproduktion – so der Untertitel von "Tagebuch Rumänien. 1989" –, ist rührend und unterhaltsam zugleich. Dieser wichtige Beitrag über den bewegten Abschnitt der rumänischen Geschichte spricht sowohl die ältere Generation an, die den Kommunismus erlebt hat, als auch die Jüngeren, denen Ceauşescus Diktatur und die Ereignisse vom Dezember 1989 unbekannt sind, an. Kaum ein Werk der rumänischen Theaterszene hat in den letzten Jahren so viel öffentliches Interesse geweckt – ein deutliches Zeichen dafür, wie außergewöhnlich und zugleich notwendig dieses Projekt ist.
 


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