Mihaela Michailov
ist Kritikerin
und
Theoretikerin
der Bühnen-
kunst (Theater und
Tanz).
Sie
arbeitet als
Dramatikerin
und
Mitarbeiterin
mehrerer
Periodika, darunter
Suplimen-
tul
de cultura (Kulturzusatz),
Sapte Seri (Sieben Abende),
Noua Literatura (Die neue
Literatur), aLtitudini.
Sie ist
Autorin mehrerer Texte, unter
anderem von Interzis sub 18
ani (Verboten unter 18
Jahren), inszeniert 2008
am Teatrul Foarte Mic,
Bukarest. 2006 gewann sie
das Dramatikstipendium des
dramAcum-3-Wettbewerbs
mit
dem Stück Mi-e frica (Ich habe
Angst). 2007 erhielt sie den
UNITER Preis für das beste
Stück des Jahres - Complexul
Romania (Der Rumänien-
Komplex), inszeniert 2008 am
Nationaltheater I.L. Caragiale,
Bukarest.
Mihaela Michailov
ist aktuell Doktorandin an
der Universität der Theater-
und Filmkunst Bukarest. Seit
2008 ist sie Intendantin des
Festivals der rumänischen
Dramatik Temeswar.
Anschluss zu finden an
eine Art des Schreibens,
das einen Querschnitt der
Realität abbildet, nicht in
Metaphern erstickt und auch
nicht am politischen Haken
hängt – das war das Ziel,
das von jenen Regisseuren
verfolgt wurde, die in
Rumänien eine grund-
legende Wandlung des
Theaters bewirkt haben.
Werbeplakat:
"Elevator" von Gabriel
Pintilei (Regie: Adriana
Zaharia), aufgeführt im
Teatrul Mic.
Der Text ist kein abge-
schlossenes Manuskript
mehr, sondern wird zur
veränderlichen Performance,
die zusammen mit der
Aufführung eine darstel-
lerische Gemeinschaft
bildet.
(c) Teatrul Mic
Teatrul Mic
"Hast du eine Idee?
Wir verwirklichen sie!",
"Überschreitet die Grenze!",
"Schreib, was du siehst!",
"Inszeniere dich, wenn wir
dich inszenieren sollen!"
Die Gruppe tangaProject
praktiziert ein Theater als
Diskussionsplattform, in dem
die akute Problematik von
Gemeinden zur Sprache
kommt. Also ein Theater
der Implikation und Reaktion,
in dem jeder der Beteiligten
zum Autor der Aufführung
wird.
Für die Ausgabe 2008 des
dramAcum-Wettbewerbs
wurden rund 100 Texte
eingereicht, was einerseits
von einem wachsenden
Interesse für das zeit-
genössische Theater zeugt,
andererseits die Glaub-
würdigkeit beweist, die
sich die Gruppe in der
Zwischenzeit erarbeitet
hat.
Werbeplakat:
"Sado-Maso Blues Bar"
von Maria Manolescu
(Regie: Gianina Carbunariu),
aufgeführt im Teatrul
Foarte Mic.
TangaProject hat ein
schlagfertiges Theater
kreiert, eines, das
Stellung bezieht.
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Vor
1989 war das rumänische Theatermodell von der Ausklammerung der Realität als
ästhetischem und ethischem Prinzip bestimmt. Der Preis für das Überleben
bestand in der Zurückweisung, Verkleidung oder geschickten Verleugnung von
Realität. Die Herrschaft der Anspielung, die Einführung subversiver
Symbolik, die Verwendung einer Gestik und bestimmter Codes, die im
kollektiven Bewusstsein ein politisches Ventil aktivierten, wurden zu
Hauptquellen des theatralischen Schaffens. Um zu sagen, was gesagt werden
musste, ohne die Aufmerksamkeit blockierender Kräfte auf sich zu lenken,
bediente man sich der Hintertürchen. Worte und Handlungen waren einer
Strategie der Umgehung des anvisierten Sinns unterworfen. In den Texten und
Vorstellungen ging der "böse Blick" der Zensur umher. Die sprachliche
Äußerung wurde durch die Zensur, die einen linguistischen Totalitarismus
aufzwang, kastriert. Jede Abweichung von den von der Partei aufgestellten
Normen der Diskurspolitik wurde mit Sanktionen geahndet.
Nach
1989 wandten manche Regisseure, die
sich um die Weiterentwicklung
des zeitgenössischen rumänischen Theaters bemühten, ihre Aufmerksamkeit dem
Alltag zu. Dem sprachlichen Ausdruck
wurde das Recht auf Zugehörigkeit zur Realität und auf Erkundung
wiedergegeben, und das ohne jedes absichtliche Drapieren der unmittelbaren
Umwelt. Der Sprache wurde die Angst vor dem eigenen Dasein, vor der
Beschreibung und der Verurteilung des Unmittelbaren genommen. Und ihr wurde
das zurückgegeben, was ihr jäh genommen worden war: das Recht auf
Entgegnung. Ihre Wahrnehmung ist allerdings noch immer durch eine der Zeit
hinterherhinkende Anpassung an sozio-semantische Wandlungen beeinträchtigt.
Der Regisseur muss um jeden zeitgenössischen Text kämpfen. So unglaublich es
klingt, es gibt im Rumänien des Jahres 2008 Theatermanager, die um die
Anzahl aller "unanständigen Ausdrücke" in einem Text feilschen, weil sie
ihnen zu unorthodox für den "heiligen Raum" der Bühne vorkommen. Es gibt
aber auch Theater, die keine Mühen scheuen und zeitgenössische Texte
konsequent fördern: Teatrul foarte mic (Das sehr kleine Theater) in
Bukarest, das Nationaltheater Mihail Eminescu in Timisoara, das
Theater Toma Caragiu in Ploiesti. Das Bekenntnis zum zeitgenössischen
Theater schlägt hierbei besonders bei den unabhängigen Häusern wie
Teatrul LUNI im Green Hours (Theater MONTAG in einem Lokal namens Green
Hours) oder Teatrul ACT (Theater AKT) voll durch.
Ein Pakt mit dem Theater
Eine
besondere Unterstützung erfuhr das Gegenwartstheater durch die Gründung der
Gruppe dramAcum (ungefähr: dramaJetzt). Ins Leben gerufen wurde
dramAcum am 25. Januar 2002 im Rahmen der UNATC (Nationale Universität
für Theater- und Filmkunst), von einer Gruppe, die sich praktisch und
inhaltlich eine Langzeitinvestition in das rumänische Theater der Gegenwart
als Ziel gesetzt hatte. Die Gründungsmitglieder der dramAcum – Radu
Apostol (Regisseur), Alexandru Berceanu (Regisseur), Gianina Carbunariu
(Dramatikerin, Regisseurin), Andreea Valean (Dramatikerin, Drehbuchautorin,
Regisseurin) und Professor Nicolae Mandea – haben von Beginn an
unterstrichen, dass das rumänische Theater an das internationale
anzuschließen sei. Dies wiederum könne nur durch Konzentration auf das
Gegenwartstheater geschehen. Anschluss zu finden an eine Art des Schreibens,
das einen Querschnitt der Realität abbildet, nicht in Metaphern erstickt und
auch nicht am politischen Haken hängt – das war das Ziel, das von jenen
Regisseuren verfolgt wurde, die in Rumänien eine grundlegende Wandlung des
Theaters bewirkt haben. Die Emanzipation der Beziehung zwischen Autor und
Regisseur, die Tatsache, dass beide zusammen an einem sich in Bewegung
befindlichen Text arbeiten (wobei der Autor direkt an der Entstehung der
Aufführung beteiligt ist), haben Konzepte wie die organische Zusammensetzung
der Inszenierung, die Streuung der Autorenrechte und eine auf Konsens
basierende Vision zur Diskussion gestellt. Der Text ist kein abgeschlossenes
Manuskript mehr, sondern wird zur veränderlichen Performance, die zusammen
mit der Aufführung eine darstellerische Gemeinschaft bildet. Die zwei
Aktionsrichtungen, die von dramAcum eingeschlagen wurden, sind
einerseits die Einrichtung eines rumänischen Dramatik-Wettbewerbs für alle
Autoren unter 26 (hier wurden zuweilen auch Ausnahmen gemacht) und die
Übernahme von Texten in "kleinen" Sprachen (Irisch, Schwedisch, Mazedonisch,
Bulgarisch, Serbisch etc.) in den heimischen Theaterzirkus. Zeitgleich mit
diesen Unternehmungen, die den direkten Bezug zum Theater sprengen, da sie
durch den Inhalt und die Beschäftigung mit den betreffenden Texten eine
wichtige soziale Komponente aufweisen, hat dramAcum versucht, eigene
Räumlichkeiten zu finden, in denen es seine Projekte verwirklichen kann.
Leider sind alle Bemühungen an den Vertröstungen und der Ablehnung der
Behörden gescheitert, wobei es in Rumänien kein Forschungs- und
Förderungszentrum für zeitgenössische Dramatik gibt, das nicht unter der
Schirmherrschaft eines Theaters steht.
Das Theater des
Unmittelbaren
Das
Dokumentieren der rumänischen Realität unter der Mitwirkung all jener, die
an der Inszenierung beteiligt sind – Autor, Regisseur, Bühnenbildner,
Schauspieler – ist eine der grundlegenden, von
dramAcum verwendeten
Methoden. Das Theater des Unmittelbaren wird
angestrebt und als Hauptquelle des Schreibens anerkannt. Die Mottos zu den
dramAcum-Wettbewerben – Hast du eine Idee? Wir verwirklichen sie!;
Überschreitet die Grenze!, Schreib, was du siehst!, Inszeniere
dich, wenn wir dich inszenieren sollen! – reflektieren das doppelte
Performance-Ziel der Regisseure (zu denen sich inzwischen auch Ana
Margineanu als Dauermitglied gesellt hat), nämlich das Interesse für ein
Theater des unmittelbaren Kontakts mit der Realität und der Reflex, die
Vorstellung als Team zu gestalten. Die von dramAcum entdeckten
Dramatiker (Stefan Peca, Nicoleta Esineanu, Vera Ion, Gabriel Pintilei,
Bodgan Georgescu, Maria Manolescu etc.) werden in wichtigen Theatern in
Rumänien und im Ausland gespielt und sind in Übersetzung in Anthologien zu
finden, die bei Verlagen in der ganzen Welt erscheinen. Für die Ausgabe 2008
des dramAcum-Wettbewerbs wurden rund 100 Texte eingereicht, was
einerseits von einem wachsenden Interesse für das zeitgenössische Theater
zeugt, andererseits die Glaubwürdigkeit beweist, die sich die Gruppe in der
Zwischenzeit erarbeitet hat. DramAcum hat ein kohärentes System der
theatralischen Erforschung und Praxis erarbeitet, das auch eine sichtbare
Langzeitwirkung zeigt. Das rumänische Theater hat Texte übernommen, die
durch die dramAcum-Projekte entstanden oder übersetzt worden sind.
Dadurch wurden Autoren und Kritiker sich verstärkt der Schlagartigkeit
bewusst, mit der das Theater in unsere unmittelbare Wirklichkeit
interveniert, erkannten aber auch die Notwendigkeit, das theatralische
Phänomen organisch – die
Aufführung als Gemeinschaftswerk – zu
begreifen.
DramAcum
legte den Grundstein für ein sozialkritisches Behandeln der Alltagsinhalte
durch kundiges theatralisches Filtern. Das künstlerische Potenzial der
Ereignisse, mit denen wir täglich konfrontiert werden, fand dadurch die
beste Umsetzung. Die Relevanz des Phänomens dramAcum geht freilich
über den Einfluss von Texten und Aufführungen hinaus, indem es einen
sozialen Einsatz ins Spiel bringt, der die Alltagsdarstellung umformatiert.
Kunst vor Ort
Durch
ein Weiterführen der Initiativen und Arbeitsmethoden des dramAcum-
und ein Erweitern der angewandten Dokumentationsprojekte in den Gemeinden
mittels einer Kunst vor Ort, begründete die Gruppe tangaProject
eine ausgeklügelte dramaturgische Methodik. TangaProject entstand
2005 durch die Initiative von Miruna Dinu (Regisseurin), Bogdan Georgescu
(Dramatiker und Regisseur), Vera Ion (Dramatikerin und Regisseurin), Ioana
Păun (Regisseurin) und David Schwartz (Regisseur). Die Gruppe praktiziert
ein Theater als Diskussionsplattform, in dem die akute Problematik von
Gemeinden zur Sprache kommt. Also ein Theater der Implikation und Reaktion,
in dem jeder der Beteiligten zum Autor der Aufführung wird. Die Kundigen und
die Kundigmachenden genießen gleiche Rechte bei der Entstehung einer
prompten, editorial-ähnlichen Vorstellung über aktuelle soziale Anomalien.
TangaProject hat das Theatergeschehen mitten in der Zielgruppe
angesiedelt, deren Dynamik und Bedürfnisse darin mitintegriert sind. Theater
ist somit der Spielplatz geworden, auf dem Künstler, die an sozialen
Entwicklungen und Blockaden interessiert sind, Interessenschwerpunkte
definieren. TangaProject hat das Theater auf die Straße
hinausgebracht, an die Kreuzung zwischen Alltagsdilemma und behördlicher
Gleichgültigkeit, und bringt damit die Gemeinschaft dazu, sich ihre internen
Dysfunktionen bewusst zu machen und auf diese zu reagieren.
Die tangaProjekt-Interventionen
ermöglichten ein Theater des Aufzeigens und der Reaktion, ein Theater, das
unmittelbar funktioniert, ein Theater, das die Realität dazu bringt, ihre
schwachen Punkte zu entdecken. Die Künstler der tangaProjekt-Gruppe
agieren als Detektoren von kommunitären Problemen, die sie dokumentieren, um
sie dann zu hinterfragen.
In
RahovaNonstop – Vorstellungsdauer 25 Stunden (16.-17. Oktober 2006) –
wurden die Geschichten des Bukarester Rahova-Viertels integriert und an den
öffentlichen Plätzen der Stadtviertel Rahova-Uranus gespielt. Dieses
Projekt, in dem die Regisseure, die Dramatiker, die Schauspieler und die
Bühnenbildner in Forschungs- und Kreativgruppen gearbeitet haben, wurde im
September 2007 von einem Vorstellungspaket abgelöst, das zu "Baue deine
Gemeinde" wurde – ein investigatives Projekt, bei dem die Künstler über
mehrere Monate in direktem Kontakt zu den Gemeindemitgliedern gestanden
sind. Die verschiedenen Gemeinschaften waren: die Bewohner der mit
Werbebannern bedeckten Wohnblocks, die Mieter von verstaatlichten Häusern,
die Blutspender, die Jugendlichen des Dienstleistungskomplexes für
straffällig gewordene Jugendliche im Bukarester Viertel Titan. Zu "Baue
deine Gemeinde" gehörten auch eine Kreativwerkstatt für die Kinder aus der
Rahova-Uranus Gegend, eine Drama-Werkstatt, die aufgrund der Erzählungen der
befragten Gemeinschaften arbeitete, öffentliche Diskussionen, ein visuelles
Archiv der Rahova-Uranus-Gegend und Gemeinde-Theatervorstellungen.
TangaProject entwickelte
Forschungstechniken und -prozeduren, die dem kommunitären Theater eigen, dem
rumänischen Publikum aber weitgehend unbekannt sind. TangaProject hat
ein schlagfertiges Theater kreiert, das Stellung bezieht, ein Theater, das
auf eine doppelte kommunitäre Konstruktion gesetzt hat: einerseits eine
Kreativgemeinschaft (Dramatiker, Regisseure, Schauspieler), die eine
Teamanalyse der anvisierten Gruppen voraussetzt, und andererseits eine
Gemeinschaft, die sozio-theatralisch erforscht und dargestellt wird.
Am 21. August 2008 hat ein Teil der Künstler
der tangaProject-Gruppe eine Performance als direkte Antwort auf die
Diskussion und die inkompetenten Kommentare zur Ausstellung Freedom for
Lazy People des New Yorker Kulturinstituts geboten, bei der
hauptsächlich die Organisatoren der Ausstellung angeprangert wurden. Damit
hat tangaProject einmal mehr bewiesen, dass ein prompt reagierendes
Theater in Rumänien notwendig ist.
Aus dem Rumänischen
von Aranca Munteanu
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