
Anna Neamtu
Jahrgang 1978.
Ausbildung
in Geisteswissenschaften an
der Lucian Blaga Universität
Sibiu, Fakultät für Sprach-
wissenschaften,
Abteilung
Germanistik-Anglistik.
Gastsemester an der Phil-
lipsuniversität Marburg,
Studium Germanistik –
Amerikanische Literatur.
2005 – Stipendiat der Robert
Bosch Stiftung im Programm
Kulturmanager aus Mittel-
und Osteuropa.
Magister
in Europäischem Recht
und Beamtenwesen an
der Rumänisch-Deutschen
Universität Hermannstadt
(2008). Engagements in
Schäßburg (Interethnisches
Jugendbildungszentrum),
London (UCL Dep. Antro-
pology), Regensburg
(Kulturhauptstadtbüro RMMX
und Europäum der Universität
Regensburg), Sibiu (ab
2003 NTRS - seit 2006
Leiterin der deutschen
Abteilung). Seit 2006
Leiterin
der Deutschen
Abteilung
am
Nationaltheater
Radu
Stanca in
Hermannstadt.
"Trotz des kleinen
Ensembles hat die deutsche
Abteilung konstant zwei
bis drei Premieren pro
Spielzeit herausgebracht
und den Kontakt zum
deutschsprachigen
Theaterraum bewahrt."

"Wie feuere ich
meinen Mörder"
(Autor: Aki Kaurismäki,
Regie: Radu Alexandru Nica).
Premiere: 12. November
2008, Nationaltheater
Radu Stanca.
Kurzinfo
zur
Deutschen Abteilung
des Radu-Stanca
Theaters
11 fest angestellte
Schauspieler
+ 3 permanente
Mitarbeiter
+ 5 Produktionsbedingte
Mitarbeiter
1 Hausregisseure
1 Marketingstelle
Das Theater spielt jeden
Mittwoch ab 19:00 Uhr
im eigenen Haus (gelegent-
lich im Sportsaal des
Gewerkschaftskulturhauses
der 2007 zu einem Studio-
saal umgebaut worden ist).
Spielzeit: September – Mai.
Tourneen: in der Sommer-
pause. Es gibt fünf Prem-
ieren pro Spielzeit (zwei bis
drei Großprojekte, zu denen
Ein- bis Zweipersonen-
stücke dazukommen).

(c) Radu-Stanca
Theater
"Urfaust"
(Regie: Ingrid Gündisch).
Zur Zeit im Repertoire
"Reise ins Glück",
"Herr Leonida und die
Reaktion", "Woyzeck",
"Wie feuere ich meinen
Mörder", "Kaspar", "Die
Arabische Nacht", "Prinz
Friedrich von Homburg",
"Elling", „Das Kalte Kind",
"Wer hat Angst vor Virginia
Woolf", "Die Bauernstochter
in Budapest", "Die
Weihnachtsoma", "Ein
Bericht für eine Akademie",
"Mädchenzimmer mit
Soldaten" (Nov. 2008),
"Ein Sommernachtstraum"
(Dez. 2008), "Wie Herrn
Mockinpott das Leiden
ausgetrieben wurde"
(März 2009).

(c) Radu-Stanca Theater
"Das kalte Kind"
(Regie: Istvan K. Szabo).
"Es wird viel herum-
debattiert, ob das Bestehen
einer deutschen Abteilung
als solcher im heutigen
Rumänien noch einen
Sinn hat."

"Wer hat Angst vor
Virginia Woolf",
(Regie: Serban Puiu). |
IW:
Das deutsche Theater ist in
Hermannstadt (Sibiu) seit dem 16. Jahrhundert beurkundet. Wie wirkte
sich der Einfluss der K & K Monarchie darauf aus?
Neamtu:
Als das älteste deutschsprachige Theater in diesem Teil Europas war das
Deutsche Theater in Hermannstadt lange Zeit kultureller Anhaltspunkt der
hiesigen Deutschen Minderheit. Bemerkenswert ist, dass um 1700 das
Hermannstädter Theater Herausgeber eines Theaterwochenblattes ist – wenn man
bedenkt, dass in Rumänien zur Zeit nur alle zwei Monate ein Theaterheft
erscheint. Das Bestehen eines deutschsprachigen Theaters in Hermannstadt
bewirkte, dass Ende des 19. Jahrhunderts die rumänische Gemeinde in
Hermannstadt, als Zentralraum der ASTRA (Gesellschaft der Siebenbürger
Rumänen), eine Bühne bauen lässt, deren Hauptnutzen das Bespielen durch
rumänischsprachige Theatergruppen wird.
IW:
Mit dem Dekret Nr. 56771 der
kommunistischen Machthaber wurde 1956 die deutsche Abteilung am
Hermannstädter Staatstheater gegründet. 2006 feierte die deutsche
Abteilung des Staatstheaters Radu Stanca (DAaNTRS) sowohl ihr
50-jähriges Jubiläum als auch 425 Jahre deutsches Theater in
Hermannstadt. Welche Änderungen fanden in der DAaNTRS nach der Wende vom
Dezember 1989 statt?
Neamtu:
Durch die massive Auswanderungswelle nach
1989 verlor die deutsche Abteilung sowohl Schauspieler als auch Publikum.
Lange Zeit "überlebten" wir mit einem Ensemble von zuerst 3, später 5
Schauspielern. Es ist Frau Renate Müller Nica (Schauspielerin und zeitweilig
auch Leiterin der Deutschen Abteilung) zu verdanken, dass diese Abteilung
überlebt hat, und dass wir in den letzten Jahren die jetzt existierende
Struktur überhaupt aufbauen konnten. Trotz des kleinen Ensembles hat die
deutsche Abteilung konstant zwei bis drei Premieren pro Spielzeit
herausgebracht und den Kontakt zum deutschsprachigen Theaterraum bewahrt.
Somit fällt es uns, als "junge Generation" , leicht Ihre Arbeit
weiterzuführen, vor allem weil wir nun alle Voraussetzungen (Infrastruktur
und Belegschaft) eines Theaters zur Verfügung haben. Hierzu sind auch die
Bemühungen des Generaldirektors Constantin Chiriac aufzuführen, der die
Wichtigkeit eines deutschsprachigen Theaters für Hermannstadt für die
Erhaltung des Kulturerbes der deutschen Minderheit im multikulturellen
europäischen Kontext der Entwicklung unserer Stadt erkannt hat und somit den
künstlerischen Standard der deutschen Abteilung an den der renommierten
rumänischen Abteilung herangeführt hat.
IW:
Wie setzt sich das Publikum der DAaNTRS zusammen?
Neamtu:
Die Deutsche Abteilung am NTRS ist ein junges Ensemble, welches für ein
junges Publikum spielt. Über 50 Prozent unserer Zuschauer sind
deutschsprachige Jugendliche und Studenten der Hermannstädter Schulen, hinzu
kommt noch (durch die seit 2003 eingeführte Untertitelung aller Stücke) ein
großer Prozentsatz rumänischer Zuschauer. Ein immer kleiner werdender Anteil
unserer Zuschauer besteht aus der hiesigen deutschen Minderheit. Die
deutsche Abteilung spielt im Studiosaalformat (d.h. 90 bis 150 Plätze) und
war in den letzten Jahren immer zu 90 Prozent ausverkauft.
IW:
Welche Autoren werden gespielt?
Neamtu:
Wir versuchen eine Brücke zur deutschsprachigen Theaterwelt zu schaffen,
indem wir jährlich mindestens einen deutschsprachigen Autor in unserer
Spielzeit eingliedern. In den letzten vier Jahren wurden auf der
Hermannstädter Bühne Autoren wie Roland Schimmelpfennig, Marius von
Mayenburg, Peter Handke aber auch Georg Büchner, Franz Kafka und J.W. Goethe
inszeniert. Gleichzeitig wurden auch Autoren anderer Länder inszeniert, wie
Aki Kaurismäki, Edward Albee, Axel Hellstenius oder Peter Weiss, demnächst
Shakespeare und Lukas Moodysson.
IW:
Welchen Stellenwert hat das
Gegenwartstheater in der DAaNTRS?
Neamtu:
Die deutsche Abteilung hat ein junges Zielpublikum, deswegen ist es uns
wichtig, den Kontakt zum jungen, zeitgenössischen Theater zu bewahren. Auch
die deutsche Abteilung in Hermannstadt verfügt über ein junges Ensemble.
Wenn man sich die Autoren ansieht, an die wir uns in den letzten Jahren
herangetastet haben, möchte ich behaupten: wir spielen Gegenwartstheater. Es
ist uns wichtig, künstlerisch hochwertiges Theater anzubieten, sowie eine
Form, an die wir auch glauben bzw. glauben können. Unsere Inszenierungen
entfernen sich teils vom Text bzw. Sprechtheater, wir arbeiten sehr viel mit
Tanz und Originalmusik, mit Licht und Videoeffekten. Um jedoch ein breites
Publikum zufriedenzustellen, bringen wir jedes zweite Jahr ein klassisches
Stück, meist Inszenierungen namhafter Gastregisseure (siehe Serban Puiu –
Prinz Friedrich von Homburg, 2006, oder aber Urfaust – Ingrid Gündisch
2004).
IW:
Gibt es internationale Kooperationen?
Neamtu:
Internationale Kooperationen der deutschen
Abteilung fanden bis vor Kurzem auf Tourneeaustauschbasis statt, sprich: wir
luden Gastspiele nach Hermannstadt ein und schickten im Gegenzug eine
unserer Produktionen ins Ausland. 2007, als Hermannstadt Kulturhauptstadt
Europas war, trat die deutsche Abteilung zwei Partnerschaften auf
Produktionsbasis an – die Straßentheaterproduktion "City Myth", zusammen mit
Antagon TheaterAktion Frankfurt am Main und "Eine stürmische Nacht" von I.L.
Caragiale, eine Koproduktion mit Komödienherbst Niederösterreich. In diesen
beiden Projekten haben Schauspieler der deutschen Abteilung konkret
mitgespielt, beide Vorstellungen sind sowohl in Hermannstadt als auch im
Ausland erfolgreich aufgeführt worden. 2008 kam dann ein konkretes
Partnerschaftsangebot seitens des Hessischen Landestheaters Marburg. Im
Rahmen der Städte- und Universitätspartnerschaften Hermannstadt-Marburg soll
nun eine Theaterpartnerschaft mit einem dauerhaften Austausch an
Produktionen aufgebaut werden. Der Beginn wurde durch zwei Auftritte des
Hessischen Landestheaters Marburg in Hermannstadt im Rahmen des
Internationalen Theaterfestivals Sibiu 2008 gesetzt. Auch in den kommenden
Spielzeiten planen wir im Rahmen einer dreijährigen Partnerschaft mit dem
Theater Oberhausen gemeinsame Projekte, in Richtung gemeinsame
Inszenierungen, Regisseurenaustausch und Autorenaufträge von beiden Seiten.
IW:
Woher rekrutieren Sie Ihre
Schauspieler (Schauspielschule, Laientheater)?
Neamtu:
Alle Schauspieler der deutschen Abteilung haben ein Fachstudium an
unterschiedlichen Schulen absolviert: Klausenburg (3), Bukarest (2),
Neumarkt (2), Hermannstadt (2), Temeswar (2), Freiburg (1), Tokyo (1), Ulm
(1). Seit 2003 gibt es an der Theaterschule in Hermannstadt jeweils zwei
Plätze pro Studienjahr für deutschsprachiges Schauspielstudium, von wo wir
nun junge Schauspieler rekrutieren. Gelegentlich greifen wir für
Statistenrollen auf Schüler der Jugendtheatergruppe des Brukenthal
Gymnasiums (Leiter Franz Kattesch, Schauspieler der deutschen Abteilung)
zurück.
IW:
Wie ist die Schauspielausbildung in deutscher Sprache in Rumänien?
Neamtu:
Meines Erachtens nach gibt es in Rumänien eine deutschsprachige
Schauspielausbildung an der West-Universität in Temeswar. Hermannstadt hat,
wie erwähnt, seit 2003 an der Lucian Blaga Universität – Fakultät für
Sprachen und Künste – Fachrichtung Schauspielkunst, zwei Plätze für
deutschsprachige Schauspieler. Es handelt sich dabei um eine rein rumänische
Ausbildung (Professoren der Bukarester Theateruniversität und Schauspier des
NTRS), die mit Deutschkursen an der hiesigen Universität unterstützt werden.
IW:
Wie steht es um die deutschsprachigen Regisseure in Rumänien?
Neamtu:
Deutschsprachige Regisseure in Rumänien ... kann man an einer Hand
zusammenzählen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die deutsche Abteilung mit
einem hauseigenen deutschsprachigen Regisseur bevorzugt: Radu Alexandru Nica
(seit 2003 dabei). Wir arbeiten auch öfters mit namhaften rumänischen
Regisseuren, die Deutsch als Arbeitssprache nutzen, wie Vlad Massaci, aber
auch mit Regisseuren, die die deutsche Sprache nicht sprechen: Puiu Serban,
Marius Olteanu, Istvan K. Szabo, Michael Devine. Einmal pro Spielzeit laden
wir Gastregisseure aus Deutschland ein. Es haben hier inszeniert: Clemens
Bechtel, Luisa Brandsdörfer, Andreas Kloos, Ingrid Gündisch.
IW:
Das Internationale Theaterfestival
Hermannstadt (FITS) ist ein besonderes Ereignis, welches großteils dazu
beigetragen hat, dass Hermannstadt 2007 zur Europäischen
Kulturhauptstadt - zusammen mit Luxemburg - gewählt wurde. Wie
präsentierte sich das DAaNTRS bei der Jubiläumsauflage 2008, der 15.
Auflage des FITS?
Neamtu:
2008 wurden zwei der Produktionen der laufenden Spielzeit gezeigt: Das
kalte Kind von Marius von Mayenburg (Regie Istvan K. Szabo) und
Wer hat Angst vor Virginia Woolf (nach Edward Albee, Regie Serban Puiu).
Dies sind zwei sehr unterschiedliche Stücke von der Inszenierung und vom
Zielpublikum her, die ja auch von der Mannigfaltigkeit unseres Angebots
zeugen sollen. Zudem wurde eine Filmdiskussion über Elling (von Axel
Hellstelnius, Regie Vlad Massaci) in der Kulturbörse angeboten sowie alle
bestehenden Inszenierungen in der Kulturbörse vorgestellt. Als Folge dieser
Präsenz erhielt die deutsche Abteilung drei konkrete Auftrittsangebote – in
Marburg, Lüneburg und Chisinau (Rep. Moldau).
IW:
Im Juni 2008 fand in Hermannstadt die "Aufführungsbörse" statt. Was
bedeutet dieses Event für das DAaNTRS und für die rumänische
Theaterwelt?
Neamtu:
Die Hermannstädter Kunst und Kulturbörse findet seit 10 Jahren im Rahmen des
Internationalen Theaterfestivals in Sibiu statt. Mitveranstalter der Börse
in den letzten sieben Jahren ist die deutsche Abteilung durch die jeweilige
Leitung. Die Kulturbörse ist ein Vermarktungsangebot speziell für die
rumänische Theaterwelt und sollte auch als solche aufgenommen und genutzt
werden. Wir bieten eine Präsentationsplatform für künstlerische Produkte aus
und in Rumänien an, als Event einzigartig in diesem Teil Europas. Erst 2008
bekam die Hermannstädter Kulturbörse die dazugehörige Medienaufmerksamkeit
durch eine etwas aggressivere Vermarktung im Vergleich zu den bisherigen
Auflagen. Es wurde in diesem Jahr auch eine Rekordzahl an Teilnehmern – 30
mit Präsentationsständen und weitere 75 mit Materialien im Börsenheft –
registriert, sowie eine Rekordzahl von 40 ge- und verkauften Events. Für die
deutsche Abteilung, als Teilnehmer dieser Veranstaltung, bedeutet die
diesjährige Kulturbörse ganz konkret drei verkaufte Produktionen im Ausland
und der Wunsch, auch im nächsten Jahr dabei zu sein.
IW:
Was haben Sie sich als Leiterin der DAaNTRS für die Zukunft
vorgenommen?
Neamtu:
Ich leite nun die deutsche Abteilung im vierten Jahr, sehe es eventuell auch
als Abschlussjahr. Für mich hat die deutsche Abteilung in den letzten Jahren
einen konkreten Weg eingeschlagen, ein junges dynamisches Team bietet ein
junges dynamisches Theater. Es wird viel herumdebattiert, ob nun das
Bestehen einer deutschen Abteilung als solcher im heutigen Rumänien noch
einen Sinn hat. Dazu kann ich nur eines erwidern: Wir sind hier, weil wir
Theater lieben und weil wir Theater als künstlerische Äußerungsform gefunden
haben. Die deutsche Abteilung bietet, wie es die Inszenierungen der letzten
drei Jahren beweisen, hochwertiges Theater an. Die Wahl der Sprache in der
wir spielen, weil wir mittlerweile nur noch von einer Wahl sprechen können,
ist letztendlich egal. |
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