Die
fünftägigen, als Showcase konzipierten Festspiele legen großen Wert auf die
von Theaterkritikern geführten Dialoge mit den Teams und Darstellern, die am
Tag nach den jeweiligen Vorstellungen stattfinden. Dadurch bietet das
Festival eine Plattform für ein besseres Verständnis der Welt und ermöglicht
ein gemeinsam getragenes Verantwortungsgefühl für die Zukunft, wodurch es
seinem Namen auch gerecht wird.
Vom 16. bis 20. Oktober standen auf dem
Festivalprogramm Produktionen vereint unter dem Konzept der
"Andersartigkeit" wie Die zwölfte Nacht oder was ihr wollt nach
William Shakespeare (Regie: Botond Nagy) oder Der Königshirsch von
Carlo Gozzi (Regie: Tudor Lucanu). Außer diesen, im Hauptsaal des
Theatergebäudes gezeigten Vorstellungen, fanden weitere Aufführungen im
Euphorion-Studio statt, der Spielstätte für neue Dramatik und Theaterexperimente. Diese basierten auf Texten zeitgenössischer rumänischer Autoren wie
Horia Garbea, Cosmin Stănilă oder Alexandra Felseghi (Göttinnen
der Kategorie B in der Regie von Andrei
Măjeri).
Angesichts des russischen
Überfalls auf die Ukraine beschäftigten sich gleich zwei Produktionen mit
dem Krieg. Zum einen die 1967 verfasste Anti-Kriegskomödie We Bombed in
New Haven von Joseph Heller, die thematisch teilweise an dessen
berühmten Roman "Catch-22" anknüpft. In Hellers Stück, das sich mit einem
strategischen Bombengeschwader befasst, wird das Theater selbst zum Thema.
Somit handelt es sich um ein Metatheater, denn der Geschwader-Kommandant
tritt häufig aus seiner Rolle heraus, um dem Publikum zu versichern, das sei
bloß ein Theaterstück. Diese Einbildung wird bis zu dem Punkt getragen, an
dem die Schauspieler selbst Verwirrung darüber zeigen, ob sie nur Darsteller
oder echte Piloten sind. Heller verwendet dieses Balancieren an der Grenze
zwischen Realität und Fiktion, um eine satirische Analyse der Menschen zu
liefern, die Krieg als Spektakel behandeln.
Der ironische Titel des
Stücks wird vom nordamerikanischen New Haven erweitert, indem die "Piloten"
den absurden Befehl erhalten, Konstantinopel als Ziel zu bombardieren.
Letztendlich ist es so weit, dass die Tochter des Kommandanten zum Opfer
fällt. Regisseur László Bocsárdi geht es in seiner gelungenen Inszenierung
um zwei Themen, die zu diesem schrecklichen Ende führen, zum einen um das
Vorhandensein einer Diktatur aufgrund einer gestörten politischen Führung
und zum anderen um den zwiespältigen Charakter des Prototyps des Bürgers,
für den Bequemlichkeit das Wichtigste im Leben ist.
Krieg
und Zerstörung finden sich auch in Gábor Tompas Inszenierung Der
Fußgänger der Luft wieder. In Eugène Ionescos Stück geht es um die
Träume des Schriftstellers Bérenger, ein Doppelgänger des Autors. Dieser ist
bereit, seine Ängste und Visionen über eine ungewisse Zukunft jedem, dem er
begegnet, zu offenbaren. Die Handlung spielt in England, auf einer Wiese
geschmückt mit ein paar Bäumen. Es scheint ein paradiesischer Ort zu sein.
Adrian Damians Bühnenbild aus aufblasbaren Elementen gleicht eindrucksvoll
den Träumen, die wie flauschige Wolken dargestellt werden. Komische
Charaktere in farbenfrohen Kostümen beleben die Szene: Der britische
Konservatismus wird in der Person von John Bull parodiert; der Bestatter
trägt einen leeren Sarg auf dem Rücken. Das seltsame Überqueren der Szenerie
durch Passanten aus einer absurden Welt regt zu Überlegungen über das Leben
und den Tod an.
Ionescus Text steigert
sich in abstrakte Debatten über die Zeitlosigkeit, die Harmonie der Sphären
und die Kommunikation. Irgendwann erhebt sich der Protagonist in die Lüfte
und verschwindet. Nach seiner Rückkehr berichtet er jedoch von grauenhaften
Erlebnissen, von Bomben und Paradiesen in Flammen. Gleichzeitig werden im
Hintergrund Bilder von herumirrenden Planeten, fliegenden Brücken und
Häusern, sowie funkelnden Sternen projiziert. Gábor Tompas Inszenierung holt
Ionescos Welt voller Wahnvorstellungen eindrücklich auf die Bühne.
Mein
persönliches Highlight war eine konzertante Performance von Ada Milea.
Lieder, die die Angst vertreiben basiert auf Texten der
Nobelpreisträgerin Herta Müller. Diese arbeitete im kommunistischen Rumänien
in einer Maschinenbaufabrik als Übersetzerin, verlor aber ihre Stelle, weil
sie sich weigerte, ihre Kollegen für den rumänischen Geheimdienst zu
bespitzeln. Anschließend fand sie nur noch Aushilfstätigkeiten und geriet
selbst ins Visier der Securitate. Es folgten Verhöre, Hausdurchsuchungen und
Verleumdungen. Obwohl Herta Müller 1987 nach Berlin ausreisen konnte, sitzt
auch heute noch die Angst sehr tief.
Zwischen Buchstaben und
Wörtern (wie Schnee oder Himmel), gekonnt eingesetztem Licht und Objekten
(wie Taschentüchern oder Metronome) lädt die Regisseurin und
Musikkomponistin Ada Milea, das Publikum im kleinen Euphorion-Studio ein,
Müllers poetische und fragile Welt hautnah zu erleben. Drei Musiker und die
stimmgewaltige Schauspielerin Anca Hanu schaffen es, Mileas Kompositionen
virtuos umzusetzen.