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Irina Wolf
irinawolf10 [at]
gmail.com
Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und
Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.

(c) Luceafarul-Theater
"Das Chamäleon Chami
geht nach Tibet"

(c) Luceafarul-Theater
"Clown-Station"

(c) Luceafarul-Theater
"Eine japanische
Geschichte"
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Papier, Stifte,
Scheren, Klebstoff – mit diesen einfachen Mitteln gestaltete Schauspieler
Iurașcu seinen lehrreichen und unterhaltsamen Auftritt. Nach und nach wurden
komplexere Elemente hinzugefügt: Pop-up-Konstruktionen aus Karton und mit
Hilfe künstlicher Intelligenz erstellte Grafiken und Videoprojektionen
begeisterten Klein und Groß gleichermaßen.
Es kommt nicht von ungefähr, dass das
"Luceafărul“-Theater eine Reise nach Tibet in seinem Showcase zeigte.
Intendantin Oltiţa Cîntec kuratierte das 75-jährige Jubiläum des
Theaterbestehens basierend auf der Idee des Reisens in die Vergangenheit.
Das abwechslungsreiche und vielfältige Programm brachte die beliebtesten
Produktionen zusammen, die zu nationalen und internationalen Festivals
eingeladen und mehrfach ausgezeichnet wurden. So entführte uns die
nonverbale Clown-Station über einen alten Mann, der den Zug verpasst,
in eine Welt, in der alles schöner wirkt, wenn wir das Kind in uns wecken.
Aus der Spielfreude der Clowns, die von allen Seiten auftauchten, entstand
eine große Spiellust, während die Zeit auf der riesigen Bühnenuhr
stillstand.
Das Stück Eine japanische Geschichte war nicht nur
von der Folklore, der grafischen Kunst und dem traditionellen Puppentheater
Japans inspiriert. Diese Produktion ist ein Beweis für die vom Theater
angestrebten internationalen Kooperationen. Die Bühnenversion der charmanten
Antiheldengeschichte vom amerikanischen Duo Irina Niculescu Lewandowski
(Dramatik und Regie) und John Lewandowski (Bühnenbild und Musik) untersucht
auf humorvolle Weise das Konzept der Kraft, die sowohl im Körper als auch im
Herzen liegt. Vier der besten Puppenspieler erweckten 26 Faden- und
Stabpuppen zum Leben. Dabei wurden sie von einem Schauspieler auf sechs
asiatischen Instrumenten musikalisch begleitet. Die allererste Produktion
des am 1. März 1950 gegründeten "Luceafărul“-Theaters, die bis heute im
Repertoire vorhanden ist, durfte natürlich im Programm des Showcases nicht
fehlen: Der goldene Fisch nach Alexander Puschkins Geschichte "Das
Märchen vom Fischer und dem Fischlein". Umso bewegender war für mich die
Aufführung, der ich beiwohnen durfte mit zwei Schauspielern, die seit fast
50 Jahren an diesem Theater tätig sind.
Von den Garderoben durch die Stadt
Als
Theaterkritikerin verleiht Intendantin Oltița Cîntec des Öfteren kreative
Impulse für neue Projekte. Ein Beispiel dafür ist Die Stadt, eine
Konzert-Performance, gewidmet der Stadt Iași, die jedoch auf jede Großstadt
zutrifft. Stimmlich sehr begabt, verkörperten vier Schauspielerinnen Figur
für Figur des überfüllten Ortes, der im Herbst von Studenten gestürmt wird,
in dem von Nachhilfe und außerschulischen Aktivitäten überforderte Schüler
leben, in der Menschen es immer eilig haben, Sonderangebote ergattern zu
wollen. Auf den ironischen Liedtexten von Bobi Dumitraș und der dynamischen
Musik, komponiert von Bobo Burlăcianu, nahm das weibliche Quartett in
einfallsreichen Solo- und Gruppenmomenten das Publikum mit auf eine
imaginäre Reise durch die Stadt.
Ein weiterer Höhepunkt des Showcases war In den
Garderoben. Ziel war es, den Zuschauern den sonst unzugänglichen
Theaterbereich zu präsentieren, in dem sich die Darsteller vor jeder
Vorstellung auf ihren Auftritt vorbereiten. Oltița Cîntec hat sich ein
Eins-zu-Eins-Konzept ausgedacht: Je ein Zuschauer trifft auf je einen
Schauspieler in den vier Garderoben des Theaters. Eine intime Begegnung mit
uns selbst und dem anderen.
Das Repertoire des Theaters umfasst auch Inszenierungen
für die ganze Familie wie Der selbstsüchtige Riese nach Oscar Wilde
oder Setz dich oder fall (basierend auf dem gleichnamigen Roman von
Bogdan Munteanu) – die landesweit einzige
Produktion, die sich mit dem Thema Epilepsie befasst. Eine der mit größter
Spannung erwarteten Premieren war Die Farm der Tiere
– eine Fabel nach George Orwell. Junggebliebene
Erwachsene schätzten den komplexen, hochaktuellen Text und bewunderten
gemeinsam mit den Kleinen die gelungenen Kostüme und das dynamische,
eingespielte Ensemble aus zwölf Darstellern.
Die Kuratorin
verstand es besonders gut, das Reisekonzept des Showcases mit großer
Sorgfalt zu durchdenken. So machte den Anfang die Produktion Mit dem
Flugzeug zwischen den Sternen über die Freundschaft zwischen einem
kleinen Jungen und einem Affen, in dem sich Schattentheater, Puppenspiel und
Luftballons harmonisch ineinander verflochten. Es war naheliegend, mit
Luceafărul, durch das Teleskop fortzufahren – einer interaktiven
Veranstaltung, die eine einzigartige Verbindung zwischen Astronomie und
Theaterkunst herstellte. Theaterfans hatten die Möglichkeit herauszufinden,
woher der Name "Luceafărul" (auf Deutsch "Morgenstern") stammt. Dafür
lieferte zuerst ein Physiker Informationen über das Himmelsgewölbe. Im
Anschluss durfte jeder Teilnehmer mittels QR-Code eine Anwendung auf sein
Mobiltelefon herunterladen, um "am Himmel" herumzustöbern. Zuallerletzt – je
nach Wetterlage – schritt man vor das Theatergebäude, wo man durch ein
Teleskop den im Volksmund als "Luceafărul" bekannten Himmelskörper (den
Planeten Venus) betrachtete.
Zu den erfindungsreichen Ideen der Kuratorin gehörte auch
die Gestaltung einer Ansichtskarte mit der grafischen Darstellung des
Theatergebäudes. In Zusammenarbeit mit der rumänischen Post wurde im
Theater-Foyer ein roter Briefkasten – ähnlich denen in London – aufgestellt.
Dadurch hatten Besucher die Möglichkeit, Post direkt vom Theater aus in die
ganze Welt zu verschicken. |
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