Wollte
man in den 1980er Jahren in Rumänien ins Theater gehen, musste man stets
damit rechnen, keine Eintrittskarten mehr zu bekommen. Trotz winterlicher
Temperaturverhältnisse im Zuschauerraum waren die Aufführungen fast immer
ausverkauft. Kommunistische Zensur und ideologische Einflussnahme konnten
jedenfalls nicht verhindern, dass die rumänischen Theater jährlich
mehrere hundert Stücke aufführten. Neben Klassikern wie Tschechow,
Shakespeare und Molière wurden hauptsächlich nationale Autoren gespielt. Die
rumänische Dramatik entkam der Zensur durch eine vieldeutige, metaphorische
Sprache. Regisseure und Schauspieler schufen durch ihre Kreativität und
ihren Charme eine magische Welt zwischen Bühne und Publikum, ein subtiles
gemeinsames Erlebnis "außerhalb" der Diktatur.
Nach dem Umsturz von 1989
war das Theater wie gelähmt.
Die intime Kommunikation
zwischen Theaterleuten und
Publikum verschwand. Das
gemeinsame Erlebnis hatte
neue "Bühnen" gefunden: die
Straße und den Fernseher.
Fast zwanzig Jahre danach
wird in Rumänien "Theater
als Spiegel einer sich stets
ändernden Welt" gezeigt,
"innovativ und provokativ in
unterschiedlichsten
Facetten, auch um Rumänien
in Bezug auf Europa in ein
neues Licht zu setzen" (Dieter
Topp, Präsident des
Kulturforum Europa zum 18.
Nationaltheaterfestival
Bukarest, November 2008).
Es
war kein leichter Weg, in Rumänien eine neue Art Theater zu schaffen, neue
Sprachformen und Inszenierungsarten zu finden und die Menschen damit wieder
in die Bühnenhäuser zu locken. Der neue Aurora-Schwerpunkt versucht, einen
Überblick dieses Wandels zu präsentieren und ein Panoramabild des
zeitgenössischen rumänischen Theatergeschehens zu skizzieren. In Interviews,
Reportagen und Essays werden die landesweiten aktuellen Strömungen und
Tendenzen der rumänischen Theaterszene und insbesondere der
Gegenwartsdramatik beleuchtet. Dabei werden auch Einblicke in das Theater
der deutschsprachigen Minderheiten Rumäniens gegeben. Freilich ist es nicht
möglich gewesen, ein
umfassendes Bild zu vermitteln. Die Redaktion
hofft jedoch, dass der Schwerpunkt den Leser dazu ermuntern wird, die offen
gebliebenen Fragen durch eigene Recherchen oder den Besuch eines rumänischen
Stückes zu ergänzen.
Zu den ersten starken Impulsgebern
für die rumänische Theaterszene
entwickelte sich die bereits kurz nach 1989 erfolgte Rückkehr von
Regisseuren wie
Andrei Serban oder
Alexander Hausvater, die während der
Diktatur ins Ausland emigriert waren.
Erst
nach dem Jahr 2000 fand das rumänische Theater auch zu einer neuen Sprache.
Wo noch bis zum Fall des Kommunismus mehrdeutige, hintersinnige
Ausdrucksformen vorherrschten, die die rumänische Wirklichkeit mehr
verschleierten als aufdeckten, sieht es seit ein paar Jahren ganz
anders aus. Obwohl die Generation der Gegenwartsdramatiker regelrecht gegen
Windmühlen ankämpfen musste, "wurde der Sprache das zurückgegeben, was ihr
jäh genommen worden war:
das Recht auf Entgegnung".
dramAcum
heißt die Bewegung, die 2002 zur Entdeckung neuer Dramatiker in Rumänien, zu
einem beachtlichen Aufschwung in der Bühnenkunst führte. Daraus entstand ein
sozial relevantes Theater und vier Typen von rumänischen Dramatikern, meint
der international bekannte, vielfach ausgezeichnete Jungautor
Peca Stefan.
Die Manipulation
der Gesellschaft, die Orientierungslosigkeit der jungen Generation sowie der
Traum von einem besseren Leben, meistens im Ausland, sind einige der
aktuellen Themen, die die
moderne rumänische Dramatik
kennzeichnen. Namen wie Gianina Carbunariu, die mit der deutschsprachigen
Erstaufführung ihres Stückes Kebab an der Berliner Schaubühne 2008
die deutsche Theaterszene eroberte und Peca Stefan, dessen Stück
Bucharest Calling als
deutschsprachige Erstaufführung 2009 im Dschungel Wien zu sehen sein wird,
sind mittlerweile einige der erfolgreichsten rumänischen Jungautoren.
Besondere
Berücksichtigung innerhalb der
zeitgenössischen
rumänischen Dramatik findet die Auseinandersetzung mit der
kommunistischen Ära. Der in Frankreich lebende rumänische Schriftsteller
Matei Visniec ist der bekannteste
Dramatiker, der sich mit Vergangenheitsbewältigung beschäftigt und nach 1989
der meistgespielte Autor in Rumänien. Daneben werden natürlich weiterhin
internationale und nationale Klassiker, wie Ion Luca Caragiale und Eugène
Ionesco, gespielt.
Obwohl
bis heute
die Regisseure die Theaterszene in Rumänien
bestimmen, müssen sie um jeden zeitgenössischen Text kämpfen. Erst seit der
dramAcum-Bewegung gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen Autoren und
Regisseuren, die mittlerweile von etlichen Theaterhäusern gefördert wird.
Dennoch wird die rumänische Theaterlandschaft noch immer von den 40
staatlichen Schauspielhäusern, die 1948 entstanden sind, dominiert. Damals
wurde ein großes Netz von professionellen Theatern
gegründet, bestehend aus über 40 Bühnen, davon sechs ungarische, zwei
deutschsprachige und ein jüdisches Theater. Bis 1998 gab es in Rumänien kein
einziges freies Theater. Vor knapp zehn Jahren wurde das erste unabhängige
Bühne, das Teatrul
Act in Bukarest, gegründet. Inzwischen ist die Off-Theaterszene
gewachsen. Es gibt zahlreiche unabhängige Gruppen, die experimentelles
Theater machen, ein zweites alternatives Theaterhaus wie das
Teatrul Act gibt es jedoch nicht.
Bemerkenswert
ist, dass deutsche Theaterbühnen in Rumänien bis ins 16. Jahrhundert
zurückverfolgt werden können. Heute existieren zwei institutionelle
Bühnen in deutscher Sprache: das deutsche Staatstheater in
Temeswar und die
deutsche Abteilung des Staatstheaters in
Hermannstadt. Gerade diese Theater
verfügen jeweils über ein junges Ensemble und fokussieren auf
experimentelles, junges Theater. Neben Sprechtheater wird viel mit
Videoeffekten, Tanz und Musik gearbeitet. Bühnen wie diese halten eine enge
Verbindung zum deutschsprachigen europäischen Raum und gehen regelmäßig
Partnerschaften und Kooperationen ein.
Seit mehreren
Jahren strebt man in Rumänien internationale Begegnungen an. Besonders auf
den landesweiten Festivals ist man um eine verstärkte Interaktion zwischen
rumänischem, europäischem und internationalem Theater bemüht. Somit gibt die
Verleihung des KulturPreises
Europa 2009 an das Nationaltheater Temeswar
(mit dem Radu Afrim-Spektakel
Krankheit der Familie M von Fausto Paravidino) der modernen rumänischen Dramatik ein europäisches Gesicht und
bestätigt, dass das Theater in Rumänien schon immer eine besondere Rolle als
Kulturträger gespielt hat.
Irina Wolf
irina.wolf [at] aurora-magazin.at |